
Die Finanzierung der Pflegeversicherung ist eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen für die kommende Bundesregierung. Eine Lösung könnte eine Pflegebürgervollversicherung sein. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten von Prof. Dr. Heinz Rothgang im Auftrag des „Bündnis für eine solidarische Pflegevollversicherung“.
Das doppelte Finanzierungsproblem der Pflegeversicherung
Die Pflegeversicherung steht aktuell vor einem doppelten Finanzierungsproblem, führen die Autoren des Gutachtens, Prof. Dr. Heinz Rothgang und Dominik Domhoff (beide Universität Bremen), zu Beginn aus. Zum einen steigen die Eigenanteile, die Pflegebedürftige selbst aufbringen müssen, kontinuierlich. Mit dem ursprünglichen Anspruch der Pflegeversicherung, nämlich Armut durch Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, ist diese Entwicklung kaum noch vereinbar: immer mehr Pflegebedürftige sind auf Sozialhilfeleistungen angewiesen, um die Eigenanteile zahlen zu können.
Zum anderen weist die Finanzierung der Pflegeversicherung schon seit ihrer Einführung Probleme auf, deren Folgen immer sichtbarer werden. Die Ursache liegt vor allem in der Aufteilung der Pflegversicherung in die Soziale Pflegeversicherung (SPV) und Private Pflegeversicherung (PPV). Da die Alters-, Geschlechter- und Risikostruktur für Privatversicherte im Durchschnitt günstiger ist, fallen die Ausgaben der SPV pro versicherte Person doppelt so hoch aus wie die der PPV pro versicherte Person. Gleichzeitig besteht eine strukturelle Einnahmeschwäche der Pflegeversicherung. Diese ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass immer mehr einkommensstarke Versicherte mit „guten Risiken“ in die PPV wechseln, sondern liegt auch daran, dass lediglich Einkommen aus Arbeit bis zur Beitragsbemessungsgrenze für die Beitragsbemessung der SPV berücksichtigt wird. Steigt das Einkommen aus anderen Einkommensarten oder oberhalb der Bemessungsgrenze stärker, wächst die Gesamtsumme der beitragspflichtigen Einnahmen langsamer als das Bruttoinlandsprodukt (BIP). So ist das BIP von 2000 bis 2023 um 95 % gestiegen, die beitragspflichtigen Einnahmen je Mitglied haben im selben Zeitraum dagegen nur um 51 % zugenommen.
Die doppelte Lösung: die Pflegebürgervollversicherung
Dieses doppelte Finanzierungsproblem der Pflegeversicherung, so die Autoren, benötigt eine doppelte Lösung: Eine Kombination von Vollversicherung und Bürgerversicherung, die zu einer Pflegebürgervollversicherung wird. Eine alle Kosten abdeckende Vollversicherung kann eine effektive Begrenzung des Eigenanteils gewährleisten. Da sie aber auch die Ausgaben erhöhen und damit die bereits existierenden Finanzierungsprobleme der Pflegeversicherung verstärken würde, braucht es zudem eine Bürgerversicherung. Diese soll die gesamte Bevölkerung in die Sozialversicherung und alle Einkommensarten in die Beitragsbemessung einbeziehen. Eine solche Bürgerversicherung könnte eine Vollversicherung – das zeigen die Berechnungen die Autoren – ohne Beitragssteigerungen finanzieren.
„Der Reformvorschlag der Pflegebürgervollversicherung adressiert mit der Begrenzung der Eigenanteile einerseits das aktuell drängendste Problem der Pflegebedürftigen. Andererseits kann eine solche Versicherung Finanzierungsungerechtigkeiten beenden, die strukturelle Einnahmeschwäche der Pflegeversicherung beenden und so die Finanzierung des Systems nachhaltig stabilisieren“, kommentiert der Pflegeökonom Heinz Rothgang den Vorschlag.
Download: Gutachten Pflegebürgervollversicherung
Zur Pressemitteilung: https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/weg-aus-pflege-krise-buergerversicherung-kann-kostenexplosion-stoppen/
Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de