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Umfassendes Konzept am 14.03.25 in Berlin vorgestellt

Über die Notwendigkeit einer Pflegereform herrscht weitgehend Einigkeit. Prof. Dr. Heinz Rothgang, Thomas Kalwitzki und Benedikt Preuß (alle SOCIUM, Universität Bremen) zeigen in einem neuen Konzept wie die Pflegeversicherung mit Hilfe einer Finanz- und Strukturreform umgestaltet werden kann. 

 

Im Auftrag der Initiative Pro-Pflegereform, die von über 120 Pflegeunternehmen und mehr als 60 Verbänden und Organisationen unterstützt wird, haben die Bremer Wissenschaftler ein Konzept für eine Alternative Ausgestaltung der Pflegeversicherung (AAPV) ausgearbeitet. Mit der Reform soll den drängendsten Problemen – der individuellen Lebensstandardsicherheit im Falle einer Pflegebedürftigkeit, der gefährdeten Versorgungssicherheit durch verringerte Pflegekapazitäten und den Finanzierungsproblemen der Pflegeversicherung – begegnet werden. Die Autoren schlagen drei Reformschritte vor, dessen erster im Sinne eines Sofortprogramms bereits im Jahr 2026 greifen soll. Insgesamt kann die Neugestaltung des Systems im Jahr 2030 abgeschlossen werden.

Begrenzung der Eigenanteile von Pflegebedürftigen durch Sockel-Spitze-Tausch

Die erste Reformstufe soll vor allem die kontinuierlich steigenden Eigenanteile von Pflegebedürftigen in Pflegeheimen begrenzen. Notwendige Maßnahmen sind die Kostenübernahme für die medizinische Behandlungspflege durch die Gesetzliche Krankenversicherung sowie die Finanzierung der Ausbildungskosten durch die Versichertengemeinschaft. Zentral für diese Reformstufe ist außerdem der von Prof. Rothgang und Thomas Kalwitzki in einem früheren Gutachten ausgearbeitete „Sockel-Spitze-Tausch“. Dieser dreht das System der Pflegeversicherung um: Während aktuell die Versicherungsleistungen begrenzt und die Eigenanteile der Pflegebedürftigen unbegrenzt sind, soll zukünftig ein stabiler Eigenanteilssockel für Pflegebedürftige entstehen und die Pflegeversicherung die unbegrenzte Kostenspitze tragen.

Pflegebedürftige in stationärer und ambulanter Versorgung sollen gleichgestellt werden

Mit der zweiten Reformstufe sollen bedarfsorientiert Leistungen auch im ambulanten Bereich ermöglicht und damit alle Pflegebedürftigen unabhängig davon, ob sie stationär oder in häuslicher Umgebung versorgt werden, gleichgestellt werden. Dies beinhaltet die Leistungen sowohl von professionellen Pflegediensten also auch für private und zivilgesellschaftliche Pflegeübernahme auszuweiten und dadurch die individuelle Ausgestaltung der Pflegesettings zu stärken. Maßnahmen dieser Stufe umfassen unter anderem die Weiterentwicklung des Pflegegelds zu einer Leistung für die Pflegenden, die Schaffung eines umfassenden Modul- und Leistungskatalogs für eine einheitliche Abrechnung sowie den oben beschriebene Sockel-Spitze-Tausch auch in der ambulanten Versorgung anzuwenden. Um die pflegerische Versorgung in der Zukunft zu sichern, beinhaltet diese Stufe außerdem eine Ausbildungsoffensive, mit Hilfe derer die Ausbildungskapazitäten verdoppelt werden sollen. So sollen bis Ende der 2030er Jahre rund 1 Million neue pflegerische Fach- und Assistenzkräfte ausgebildet werden.

Die letzte Reformstufe sieht eine sektorenfreie Versorgung vor, die innovative Wohn- und Pflegeformen sowie Laienpflege individuell und unabhängig vom Wohnort ermöglichen soll. Die zentrale Frage ist dann nicht mehr wo eine Pflegeleistung erbracht wird, sondern durch wen. Pflegebedürftige können ihre Wohnsettings dann frei wählen und finanzieren sie selbst, die Pflege kann sowohl von professionellen Pflegekräften als auch durch Laien, beispielsweise Angehörige, erfolgen.

Umfassende Refinanzierungsreform verhindert Beitragssteigerungen

Um den durch die Maßnahmen der zweiten und dritten Reformstufe entstehenden Ausgabensteigerungen zu begegnen, beinhalten diese auch eine umfassende Refinanzierungsreform, die die steigenden Ausgaben solidarisch verteilt und die eine Erhöhung des Beitragssatzes abmildert. Diese sieht Veränderungen in der Beitragsbemessung, einen Finanzausgleich zwischen sozialer Pflegeversicherung und privater Pflegeversicherung sowie einen Steuerzuschuss für die Pflegeversicherung vor.

„In Bezug auf den aktuellen Zustand der Pflegeversicherung und den Reformbedarf besteht seltene Einigkeit. Mit unserem Konzept legen wir einen Vorschlag vor, wie das System sofort und umfassend umgestaltet werden kann. Damit kann die pflegerische Versorgung in Deutschland nicht nur gesichert, sondern auch gerechter finanziert werden“, sagt Prof. Rothgang.

Links und Downloads:

Gutachten

Link zur Pressemittelung der Initiative Pro-Pflegereform

Präsentation


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de

Thomas Kalwitzki
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58544
E-Mail: thomas.kalwitzki@uni-bremen.de

Benedikt Preuß
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 1
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58647
E-Mail: bpreuss@uni-bremen.de

Foto: Maximilian HohmannFoto: Maximilian Hohmann
Kathrin Moosdorf informiert sich über die aktuelle Forschungs- und Transfertätigkeit

Am Donnerstag besuchte die Bremische Wissenschaftssenatorin Kathrin Moosdorf das SOCIUM. In ihrer Antwort auf die Begrüßung unterstrich die Senatorin die Bedeutung der Sozialwissenschaften für den Bremer Hochschulstandort. Ihr sei nicht nur daran gelegen, im SOCIUM einen Überblick über die sozialwissenschaftlichen Forschungsstrukturen zu bekommen, sondern auch ihr Wissen über den aktuellen Stand der Arbeit aufzufrischen.

Nach einer kurzen Einführung durch den stellvertretenden Sprecher Sebastian Fehrler präsentierten die Leiterinnen und Leiter von fünf am SOCIUM angesiedelten Forschungsverbünden den aktuellen Stand ihrer Arbeit: Sonderforschungsbereich 1341 Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik (Herbert Obinger), Deutsches Institut für Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (Frank Nullmeier), Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (Olaf Groh-Samberg), Qualiservice (Betina Hollstein) sowie TCall (Heinz Rothgang).

In der anschließenden Diskussion ging es um die Entwicklungsperspektiven des SOCIUM sowie um die Struktur und das Selbstverständnis der Bremer Sozialwissenschaften. Frau Moosdorf betonte die Bedeutung der Bundesfinanzierung für die Verbundforschung und die Bemühungen des Landes, Förderungen auch nach den Bundestagswahlen aufrechtzuerhalten. Es wurde weiter deutlich, dass die netzwerkförmigen Strukturen, flachen Hierarchien und kurzen Wege maßgeblich zum Erfolg der Bremer Sozialwissenschaften beigetragen haben, insbesondere bei der Einwerbung von Forschungsgeldern und der Nachwuchsförderung. Die Unterstützung des Landes wurde dabei gewürdigt.

Die Senatorin gab einen kurzen Einblick in die laufenden Diskussionen um den Bremer Wissenschaftsplan 2030 und zeigte sich sehr zuversichtlich, dass darin die wichtige Rolle der Sozialwissenschaften in Bremen fortgeschrieben werde.


Kontakt:
Prof. Dr. Sebastian Fehrler
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 7
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58590
E-Mail: sebastian.fehrler@uni-bremen.de

Eine Regionalanalyse gruppenbezogener Sympathien auf Basis des German Social Cohesion Panel (SCP)

Eine Woche vor der Bundestagswahl am 23. Februar liefert eine aktuelle Studie aus dem FGZ neue Erkenntnisse über das gesellschaftliche Klima in Regionen, in denen die AfD politisch erfolgreich ist: Je höher der Stimmenanteil der AfD, desto ausgeprägter sind Abwertungen und Spaltungen innerhalb der Gesellschaft.

Für die Untersuchung analysierte das Forschungsteam Daten des German Social Cohesion Panel (SCP), einer repräsentativen Langzeitstudie mit knapp 15.000 Befragten, und verknüpfte diese mit den Bundestagswahlergebnissen von 2021 auf Wahlkreisebene. Die Daten zeichnen ein besorgniserregendes Bild: In Regionen mit hoher AfD-Zustimmung werden Minderheiten und benachteiligte Gruppen – darunter Muslim:innen, Migrant:innen, Homosexuelle und Menschen mit geringer Bildung – als deutlich weniger sympathisch eingestuft.

Es zeigt sich ein Muster: In Regionen, wo die AfD mehr als 20 Prozent der Stimmen erhält, machen Menschen stärkere Unterschiede in ihrer Bewertung verschiedener Bevölkerungsgruppen. Sie bewerten also bestimmte Gruppen deutlich positiver und andere deutlich negativer als Menschen in Regionen mit geringer AfD-Zustimmung. Dies betrifft insbesondere die Wahrnehmung von Ost- und Westdeutschen, Deutschen und Migrant:innen sowie Muslim:innen und Christ:innen.

"Unsere Analysen stützen die These, dass die AfD als Polarisierungsunternehmer agiert. Wir beobachten ein gesellschaftliches Klima der Abwertung und Spaltung.", erklärt Dr. Nils Teichler, einer der Autoren. Bemerkenswert: Die Zusammenhänge zeigen sich weit über die AfD-Wählerschaft hinaus in der breiten Bevölkerung. "Wir hätten erwartet, dass AfD-Wähler:innen in ihren Sympathien stärkere Unterschiede gegenüber bestimmten Gruppen machen. Dass dies in AfD-starken Regionen aber auch auf Menschen übergreift, die nicht die AfD wählen, ist ein überraschender Befund“, betont Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg, Direktor des FGZ und Co-Autor der Studie.

Ein Klima der Spaltung ist spezifisch für die AfD. Bei anderen Parteien lässt sich dieser Effekt nicht nachweisen. In Wahlkreisen mit hohen Stimmenanteilen der Grünen zeigen sich sogar gegenläufige Tendenzen.

Die Studie erscheint als FGZ Datenmonitor 2025#1 unter dem Titel „Spaltet die AfD die Gesellschaft? Eine Regionalanalyse gruppenbezogener Sympathien auf Basis des German Social Cohesion Panel (SCP)“: https://fgzrisc.hypotheses.org/5568."

Kontakt:
Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg
Direktor Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ)

olaf.groh-samberg@fgz-risc.de

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Deutschland

 

Gutachten zu einer Pflegebürgervollversicherung veröffentlicht

Die Finanzierung der Pflegeversicherung ist eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen für die kommende Bundesregierung. Eine Lösung könnte eine Pflegebürgervollversicherung sein. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten von Prof. Dr. Heinz Rothgang im Auftrag des „Bündnis für eine solidarische Pflegevollversicherung“.

 

Das doppelte Finanzierungsproblem der Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung steht aktuell vor einem doppelten Finanzierungsproblem, führen die Autoren des Gutachtens, Prof. Dr. Heinz Rothgang und Dominik Domhoff (beide Universität Bremen), zu Beginn aus. Zum einen steigen die Eigenanteile, die Pflegebedürftige selbst aufbringen müssen, kontinuierlich. Mit dem ursprünglichen Anspruch der Pflegeversicherung, nämlich Armut durch Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, ist diese Entwicklung kaum noch vereinbar: immer mehr Pflegebedürftige sind auf Sozialhilfeleistungen angewiesen, um die Eigenanteile zahlen zu können.

Zum anderen weist die Finanzierung der Pflegeversicherung schon seit ihrer Einführung Probleme auf, deren Folgen immer sichtbarer werden. Die Ursache liegt vor allem in der Aufteilung der Pflegversicherung in die Soziale Pflegeversicherung (SPV) und Private Pflegeversicherung (PPV). Da die Alters-, Geschlechter- und Risikostruktur für Privatversicherte im Durchschnitt günstiger ist, fallen die Ausgaben der SPV pro versicherte Person doppelt so hoch aus wie die der PPV pro versicherte Person. Gleichzeitig besteht eine strukturelle Einnahmeschwäche der Pflegeversicherung. Diese ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass immer mehr einkommensstarke Versicherte mit „guten Risiken“ in die PPV wechseln, sondern liegt auch daran, dass lediglich Einkommen aus Arbeit bis zur Beitragsbemessungsgrenze für die Beitragsbemessung der SPV berücksichtigt wird. Steigt das Einkommen aus anderen Einkommensarten oder oberhalb der Bemessungsgrenze stärker, wächst die Gesamtsumme der beitragspflichtigen Einnahmen langsamer als das Bruttoinlandsprodukt (BIP). So ist das BIP von 2000 bis 2023 um 95 % gestiegen, die beitragspflichtigen Einnahmen je Mitglied haben im selben Zeitraum dagegen nur um 51 % zugenommen.

 

Die doppelte Lösung: die Pflegebürgervollversicherung

Dieses doppelte Finanzierungsproblem der Pflegeversicherung, so die Autoren, benötigt eine doppelte Lösung: Eine Kombination von Vollversicherung und Bürgerversicherung, die zu einer Pflegebürgervollversicherung wird. Eine alle Kosten abdeckende Vollversicherung kann eine effektive Begrenzung des Eigenanteils gewährleisten. Da sie aber auch die Ausgaben erhöhen und damit die bereits existierenden Finanzierungsprobleme der Pflegeversicherung verstärken würde, braucht es zudem eine Bürgerversicherung. Diese soll die gesamte Bevölkerung in die Sozialversicherung und alle Einkommensarten in die Beitragsbemessung einbeziehen. Eine solche Bürgerversicherung könnte eine Vollversicherung – das zeigen die Berechnungen die Autoren – ohne Beitragssteigerungen finanzieren.

„Der Reformvorschlag der Pflegebürgervollversicherung adressiert mit der Begrenzung der Eigenanteile einerseits das aktuell drängendste Problem der Pflegebedürftigen. Andererseits kann eine solche Versicherung Finanzierungsungerechtigkeiten beenden, die strukturelle Einnahmeschwäche der Pflegeversicherung beenden und so die Finanzierung des Systems nachhaltig stabilisieren“, kommentiert der Pflegeökonom Heinz Rothgang den Vorschlag.

 

Download: Gutachten Pflegebürgervollversicherung

Zur Pressemitteilung: https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/weg-aus-pflege-krise-buergerversicherung-kann-kostenexplosion-stoppen/


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de