Die Pflegeversicherung wurde vor 25 Jahren eingeführt, um pflegebedingte Sozialhilfeabhängigkeit zu reduzieren. Dies gelingt im Zeitverlauf zunehmend schlechter, so dass ein Großteil der Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen durch ihre Eigenanteile finanziell überfordert ist und auf Vermögensverzehr und Sozialhilfe angewiesen ist. Diese Fehlentwicklung hat zu einer aktiven Diskussion um die Notwendigkeit systematischer Änderungen der Pflegeversicherung geführt, die am 4. November 2020 in ein Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums gemündet sind. Es wurde angekündigt, die Finanzierung der stationären Pflege mit drei Reformelementen zu erneuern: Erstens sollen die Eigenanteile für pflegebedingte Kosten und Ausbildungskosten in der Höhe und zweitens auch in der Zahlungsdauer begrenzt werden und drittens soll eine Teilübernahme der bisher privat aufzubringenden Investitionskosten durch die Länder erfolgen.
In einer Expertise für die DAK Gesundheit hat Prof. Heinz Rothgang nun mit einem Forscher:innenteam berechnet, welche Effekte durch die Reformelemente für die rund 780.000 Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen zu erwarten sind. Es zeigt sich, dass die strukturelle Neuordnung der Pflegefinanzierung im Zeitverlauf zu einer deutlichen Verringerung der Sozialhilfeempfänger:innen führen wird und auch die Zahl der Personen deutlich reduziert, die ihre Heimkosten nur durch Vermögensverzehr finanzieren können. So wird sich der Anteil der Pflegebedürftigen, die nach drei Jahren Heimaufenthalt ihre Heimkosten noch oder wieder aus ihren laufenden Einnahmen decken können, auf 72 Prozent mehr als verdoppelt. Selbst bei einer Steigerung der Pflegesätze um 10 Prozent wird die Quote der Empfänger von Hilfe zur Pflege um rund ein Drittel auf 24,7 Prozent sinken. Damit werden fast 100.000 Pflegebedürftige vor der Sozialhilfeabhängigkeit bewahrt und ihr Anteil sinkt weit unter die Sozialhilfequoten der letzten zwanzig Jahre. In der Summe ist zu erwarten, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Reform rund 90 Prozent der Heimbewohner:innen finanziell entlastet werden. Für alle zukünftigen Heimbewohneri:nnen wäre dann zudem die Gesamthöhe des pflegebedingten Eigenanteils erstmals bekannt und damit einer kalkulierten Vorsorge zugänglich.
Es entstehen direkte Entlastungen für die Sozialhilfeträger in Höhe von über 2 Milliarden Euro, die die Belastungen durch die anteilige Investitionskostenfinanzierung von weniger als einer Milliarde bei weitem übertreffen. Die Ausgaben der Pflegeversicherung steigen um gut 5 Mrd. Euro pro Jahr, realisieren damit allerdings sowohl bessere Löhne für die Pflegenden als auch erstmalig eine systematische Absicherung der Pflegebedürftigen gegen pflegebedingte Verarmung.
Die in Aussicht gestellten Reformelemente sind damit umfassend dazu geeignet, die Situation der aktuellen und zukünftigen Pflegebedürftigen zu verbessern und erstmals eine umfassende Absicherung gegen das Risiko der pflegebedingten Sozialhilfeabhängigkeit zu gewährleisten.
Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de