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Umfassendes Konzept am 14.03.25 in Berlin vorgestellt

Über die Notwendigkeit einer Pflegereform herrscht weitgehend Einigkeit. Prof. Dr. Heinz Rothgang, Thomas Kalwitzki und Benedikt Preuß (alle SOCIUM, Universität Bremen) zeigen in einem neuen Konzept wie die Pflegeversicherung mit Hilfe einer Finanz- und Strukturreform umgestaltet werden kann. 

 

Im Auftrag der Initiative Pro-Pflegereform, die von über 120 Pflegeunternehmen und mehr als 60 Verbänden und Organisationen unterstützt wird, haben die Bremer Wissenschaftler ein Konzept für eine Alternative Ausgestaltung der Pflegeversicherung (AAPV) ausgearbeitet. Mit der Reform soll den drängendsten Problemen – der individuellen Lebensstandardsicherheit im Falle einer Pflegebedürftigkeit, der gefährdeten Versorgungssicherheit durch verringerte Pflegekapazitäten und den Finanzierungsproblemen der Pflegeversicherung – begegnet werden. Die Autoren schlagen drei Reformschritte vor, dessen erster im Sinne eines Sofortprogramms bereits im Jahr 2026 greifen soll. Insgesamt kann die Neugestaltung des Systems im Jahr 2030 abgeschlossen werden.

Begrenzung der Eigenanteile von Pflegebedürftigen durch Sockel-Spitze-Tausch

Die erste Reformstufe soll vor allem die kontinuierlich steigenden Eigenanteile von Pflegebedürftigen in Pflegeheimen begrenzen. Notwendige Maßnahmen sind die Kostenübernahme für die medizinische Behandlungspflege durch die Gesetzliche Krankenversicherung sowie die Finanzierung der Ausbildungskosten durch die Versichertengemeinschaft. Zentral für diese Reformstufe ist außerdem der von Prof. Rothgang und Thomas Kalwitzki in einem früheren Gutachten ausgearbeitete „Sockel-Spitze-Tausch“. Dieser dreht das System der Pflegeversicherung um: Während aktuell die Versicherungsleistungen begrenzt und die Eigenanteile der Pflegebedürftigen unbegrenzt sind, soll zukünftig ein stabiler Eigenanteilssockel für Pflegebedürftige entstehen und die Pflegeversicherung die unbegrenzte Kostenspitze tragen.

Pflegebedürftige in stationärer und ambulanter Versorgung sollen gleichgestellt werden

Mit der zweiten Reformstufe sollen bedarfsorientiert Leistungen auch im ambulanten Bereich ermöglicht und damit alle Pflegebedürftigen unabhängig davon, ob sie stationär oder in häuslicher Umgebung versorgt werden, gleichgestellt werden. Dies beinhaltet die Leistungen sowohl von professionellen Pflegediensten also auch für private und zivilgesellschaftliche Pflegeübernahme auszuweiten und dadurch die individuelle Ausgestaltung der Pflegesettings zu stärken. Maßnahmen dieser Stufe umfassen unter anderem die Weiterentwicklung des Pflegegelds zu einer Leistung für die Pflegenden, die Schaffung eines umfassenden Modul- und Leistungskatalogs für eine einheitliche Abrechnung sowie den oben beschriebene Sockel-Spitze-Tausch auch in der ambulanten Versorgung anzuwenden. Um die pflegerische Versorgung in der Zukunft zu sichern, beinhaltet diese Stufe außerdem eine Ausbildungsoffensive, mit Hilfe derer die Ausbildungskapazitäten verdoppelt werden sollen. So sollen bis Ende der 2030er Jahre rund 1 Million neue pflegerische Fach- und Assistenzkräfte ausgebildet werden.

Die letzte Reformstufe sieht eine sektorenfreie Versorgung vor, die innovative Wohn- und Pflegeformen sowie Laienpflege individuell und unabhängig vom Wohnort ermöglichen soll. Die zentrale Frage ist dann nicht mehr wo eine Pflegeleistung erbracht wird, sondern durch wen. Pflegebedürftige können ihre Wohnsettings dann frei wählen und finanzieren sie selbst, die Pflege kann sowohl von professionellen Pflegekräften als auch durch Laien, beispielsweise Angehörige, erfolgen.

Umfassende Refinanzierungsreform verhindert Beitragssteigerungen

Um den durch die Maßnahmen der zweiten und dritten Reformstufe entstehenden Ausgabensteigerungen zu begegnen, beinhalten diese auch eine umfassende Refinanzierungsreform, die die steigenden Ausgaben solidarisch verteilt und die eine Erhöhung des Beitragssatzes abmildert. Diese sieht Veränderungen in der Beitragsbemessung, einen Finanzausgleich zwischen sozialer Pflegeversicherung und privater Pflegeversicherung sowie einen Steuerzuschuss für die Pflegeversicherung vor.

„In Bezug auf den aktuellen Zustand der Pflegeversicherung und den Reformbedarf besteht seltene Einigkeit. Mit unserem Konzept legen wir einen Vorschlag vor, wie das System sofort und umfassend umgestaltet werden kann. Damit kann die pflegerische Versorgung in Deutschland nicht nur gesichert, sondern auch gerechter finanziert werden“, sagt Prof. Rothgang.

Links und Downloads:

Gutachten

Link zur Pressemittelung der Initiative Pro-Pflegereform

Präsentation


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de

Thomas Kalwitzki
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58544
E-Mail: thomas.kalwitzki@uni-bremen.de

Benedikt Preuß
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 1
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58647
E-Mail: bpreuss@uni-bremen.de

Prof. Heinz Rothgang im "Health Briefing Bremen"

Im "Health Briefing Bremen" spricht Prof. Dr. Heinz Rothgang über die dringendsten Probleme in der Finanierung der Langzeitpflege, vor welchen Herausforderungen die neue Bundesregierung steht und inwiefern eine Pflegevollversicherung eine Lösung darstellen kann: https://www.youtube.com/watch?v=f6l8qcQ17RQ

Gutachten zu einer Pflegebürgervollversicherung veröffentlicht

Die Finanzierung der Pflegeversicherung ist eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen für die kommende Bundesregierung. Eine Lösung könnte eine Pflegebürgervollversicherung sein. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten von Prof. Dr. Heinz Rothgang im Auftrag des „Bündnis für eine solidarische Pflegevollversicherung“.

 

Das doppelte Finanzierungsproblem der Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung steht aktuell vor einem doppelten Finanzierungsproblem, führen die Autoren des Gutachtens, Prof. Dr. Heinz Rothgang und Dominik Domhoff (beide Universität Bremen), zu Beginn aus. Zum einen steigen die Eigenanteile, die Pflegebedürftige selbst aufbringen müssen, kontinuierlich. Mit dem ursprünglichen Anspruch der Pflegeversicherung, nämlich Armut durch Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, ist diese Entwicklung kaum noch vereinbar: immer mehr Pflegebedürftige sind auf Sozialhilfeleistungen angewiesen, um die Eigenanteile zahlen zu können.

Zum anderen weist die Finanzierung der Pflegeversicherung schon seit ihrer Einführung Probleme auf, deren Folgen immer sichtbarer werden. Die Ursache liegt vor allem in der Aufteilung der Pflegversicherung in die Soziale Pflegeversicherung (SPV) und Private Pflegeversicherung (PPV). Da die Alters-, Geschlechter- und Risikostruktur für Privatversicherte im Durchschnitt günstiger ist, fallen die Ausgaben der SPV pro versicherte Person doppelt so hoch aus wie die der PPV pro versicherte Person. Gleichzeitig besteht eine strukturelle Einnahmeschwäche der Pflegeversicherung. Diese ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass immer mehr einkommensstarke Versicherte mit „guten Risiken“ in die PPV wechseln, sondern liegt auch daran, dass lediglich Einkommen aus Arbeit bis zur Beitragsbemessungsgrenze für die Beitragsbemessung der SPV berücksichtigt wird. Steigt das Einkommen aus anderen Einkommensarten oder oberhalb der Bemessungsgrenze stärker, wächst die Gesamtsumme der beitragspflichtigen Einnahmen langsamer als das Bruttoinlandsprodukt (BIP). So ist das BIP von 2000 bis 2023 um 95 % gestiegen, die beitragspflichtigen Einnahmen je Mitglied haben im selben Zeitraum dagegen nur um 51 % zugenommen.

 

Die doppelte Lösung: die Pflegebürgervollversicherung

Dieses doppelte Finanzierungsproblem der Pflegeversicherung, so die Autoren, benötigt eine doppelte Lösung: Eine Kombination von Vollversicherung und Bürgerversicherung, die zu einer Pflegebürgervollversicherung wird. Eine alle Kosten abdeckende Vollversicherung kann eine effektive Begrenzung des Eigenanteils gewährleisten. Da sie aber auch die Ausgaben erhöhen und damit die bereits existierenden Finanzierungsprobleme der Pflegeversicherung verstärken würde, braucht es zudem eine Bürgerversicherung. Diese soll die gesamte Bevölkerung in die Sozialversicherung und alle Einkommensarten in die Beitragsbemessung einbeziehen. Eine solche Bürgerversicherung könnte eine Vollversicherung – das zeigen die Berechnungen die Autoren – ohne Beitragssteigerungen finanzieren.

„Der Reformvorschlag der Pflegebürgervollversicherung adressiert mit der Begrenzung der Eigenanteile einerseits das aktuell drängendste Problem der Pflegebedürftigen. Andererseits kann eine solche Versicherung Finanzierungsungerechtigkeiten beenden, die strukturelle Einnahmeschwäche der Pflegeversicherung beenden und so die Finanzierung des Systems nachhaltig stabilisieren“, kommentiert der Pflegeökonom Heinz Rothgang den Vorschlag.

 

Download: Gutachten Pflegebürgervollversicherung

Zur Pressemitteilung: https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/weg-aus-pflege-krise-buergerversicherung-kann-kostenexplosion-stoppen/


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de

Fachtag zu Gesundheitsfachkräften an Schulen bringt lokale und internationale Perspektiven zusammen

Gesundheitskompetenzen schon im frühen Alter stärken – dafür sind in Grundschulen im Land Bremen sogenannte Gesundheitsfachkräfte zuständig. Bei einem Fachtag, organisiert von der Arbeitsgruppe von Prof. Eva Quante-Brandt des SOCIUMs, tauschten sich knapp 100 Teilnehmende aus Wissenschaft und Praxis zu diesem Thema aus. Dabei war der Blick nicht nur auf Bremen gerichtet: Prof. Pernilla Garmy stellte in ihrem Vortrag das schwedische Konzept der „school nurses“ vor.

 

Seit 2018 arbeiten Gesundheitsfachkräfte in Bremer und Bremerhavener Grundschulen in sozial schwächeren Stadtteilen und erklären und stärken gesunde Verhaltensweisen. Vom reichhaltigen Frühstück, über ausreichend Bewegung bis zum gesunden Umgang mit Medien – die Themen sind dabei vielfältig, ebenso die Methoden, mit denen gearbeitet wird. Was ursprünglich als Modellprojekt begann, wurde im Jahr 2021 verstetigt. 15 Gesundheitsfachkräfte sind mittlerweile beim Bremer Gesundheitsamt angestellt und werden in 23 Schulen eingesetzt – ein „Leuchtturmprojekt“ wie Amtsleiter Dr. Jörn Moock in seinem Grußwort zum Fachtag am 26.11.2024 sagte. Unter dem Titel „Gesundheitsfachkräfte an Schulen - Gesundheitskompetenz stärken und gesundheitliche Ungleichheiten überwinden" wurde ein Tag lang im Haus der Wissenschaft diskutiert. Im Zentrum des gemeinsamen Austauschs von Wissenschaftler:innen, Gesundheitsfachkräften, Studierenden und Lehrkräften stand vor allem die Frage, wie das Konzept der Gesundheitsfachkräfte weiterentwickelt werden kann. Dazu gab zu Beginn Prof. Pernilla Garmy, Professorin für Pflege an der Universität Kristianstad (Schweden), einen wichtigen Input, indem sie in ihrem Vortrag das schwedische Modell der „school nurses“ vorstellte.

Anders als in Deutschland ist im schwedischen Schulgesetz festgelegt, dass alle Schulen Zugang zu einer school nurse haben müssen. Diese ist wie die Bremer Gesundheitsfachkräfte für Prävention und die Aufklärung über, beziehungsweise die Stärkung von, gesunden Verhaltensweisen zuständig, übernimmt aber auch andere Aufgaben wie Impfungen. In regelmäßigen Gesprächen mit den Schüler:innen und ihren Eltern beraten die school nurses zu verschiedenen Gesundheitsfragen: „Die school nurses entlasten damit die Kinderärzte und -ärztinnen in Schweden sehr“, sagte Prof. Garmy. Neben den Kindern und ihren Eltern vermitteln die school nurses auch den Lehrkräften wichtiges Wissen, beispielsweise über chronische Krankheiten ihrer Schüler:innen und wie damit umgegangen werden muss. 

An die schwedische Perspektive schlossen kurze Vorträge zum Bremer Konzept an. Lisa Kühne, Hanna Richter und Tatiana Mamontova stellten ihre anwendungsorientierte Forschung aus dem SOCIUM (Universität Bremen) vor. Dabei standen die Auswertung von Gesundheitsdaten von Bremer Grundschüler:innen, die Netzwerkarbeit von Gesundheitsfachkräften in Stadtteilen und die organisationale Gesundheitskompetenz an Grundschulen im Mittelpunkt. Aus Sicht der Praxis stellten Claudia Kwirand (Referatsleitung, Gesundheitsamt Bremen) und Ceylan Scharrelmann (Gesundheitsfachkraft) die Arbeit der Bremer Gesundheitsfachkräfte vor. Daran anschließend präsentierte Jan Spaar eine Software, die an der Technischen Hochschule Mittelhessen derzeit zur Dokumentation der Arbeit von Gesundheitsfachkräften in Schulen entwickelt wird. 

Der grundlegende Unterschied zwischen dem schwedischen Konzept und deutschen Ansätzen, Gesundheitsfachkräfte in Schulen einzubinden, besteht vor allem in der Verankerung der school nurses im schwedischen Bildungssystem. In Deutschland, beispielsweise in Bremen, sind Gesundheitsfachkräfte hingegen in den Öffentlichen Gesundheitsdienst, und damit in das Gesundheitssystem, integriert. Die Frage, wie Bildungs- und Gesundheitssystem in Deutschland zusammenarbeiten können, um noch mehr Gesundheitsfachkräfte auch in anderen Bereichen einzusetzen, bildete einen von verschiedenen Diskussionspunkten, denen sich die Teilnehmenden in interaktiven Formaten wie einem World Café widmeten. Eine weitere zentrale Fragestellung des Tages betraf die Evaluation, also die Frage, wie die Wirksamkeit der Arbeit von Gesundheitsfachkräften in Schulen wissenschaftlich gemessen werden kann. Prof Garmy sagte dazu: „Es braucht hier sowohl quantitative Fragebögen als auch qualitative Interviews. Dabei ist es wichtig auch den Fokus auf die selbst berichteten Angaben der Kinder zu legen“.

In ihrem Fazit zum Abschluss des Tages blickte Prof. Eva Quante-Brandt auf Möglichkeiten, den Einsatz der Gesundheitsfachkräfte zu erweitern: „Eine wichtige Perspektive ist, die Gesundheitsfachkräfte auch an den weiterführenden Schulen einzusetzen, da insbesondere mit der Pubertät nochmal neue Fragen und Themen für Jugendliche aufkommen“. Außerdem müssten sich die beiden Systeme Bildung und Gesundheit der Herausforderung stellen, hier noch enger zusammenzuarbeiten: „Vielleicht könnte das Konzept der Ganztagsschulen ein wichtiger Eisbrecher sein, um die verschiedenen Akteure und Akteurinnen beider Systeme näher zusammenzubringen“.

 


Kontakt:
Prof. Dr. Eva Quante-Brandt
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58531
E-Mail: eva.quantebrandt@uni-bremen.de

Hanna Richter
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58560
E-Mail: hrichter@uni-bremen.de

Lisa Kühne
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-57050
E-Mail: Lisa.kuehne@uni-bremen.de

Prof. Dr. Heinz Rothgang stellt BARMER-Pflegereport 2024 am 18.11.2024 in Berlin vor

Der jährlich veröffentlichte BARMER-Pflegebericht bewertet die aktuelle Pflegepolitik und erfasst die Situation der Pflege. Für den Bericht werteten Prof. Dr. Heinz Rothgang und Dr. Rolf Müller (beide SOCIUM) Daten aus der Pflege- und Kassenstatistik sowie der BARMER umfassend aus. Darüber hinaus setzen die Autoren einen thematischen Schwerpunkt, welcher in diesem Jahr vor allem die Pflegedauer und ihre Auswirkungen auf die Pflegekosten in den Blick nimmt.

 

Höhere Kosten durch mehr Personal und höhere Löhne in der Altenpflege

Auch im vergangenen Jahr stiegen die Eigenanteile in der Heimpflege weiter an und belaufen sich inzwischen – bei Berücksichtigung aller Leistungen der Pflegeversicherung – auf bundesdurch­schnittlich mehr als 2.300 Euro. Dies ist nicht zuletzt auch das Ergebnis von Personalaufstockungen durch das von der Universität Bremen entwickelten Personalbemessungsverfahren und der im Herbst 2022 eingeführten Tariftreueregelung. Letztere gibt vor, dass Pflegeeinrichtungen ohne Tarifvertrag einen solchen einführen, sich an einen solchen anlehnen oder ein regional übliches Entlohnungsniveau für Pflegekräfte sicherstellen. Dies hat zu einem deutlichen Anstieg der Löhne in der Altenpflege geführt: Zwischen Dezember 2021 und Dezember 2023 ist das Lohnniveau für Fachkräfte und Helfer:innen um 17 bzw. 24 Prozent gestiegen, während der Anstieg in der Krankenpflege wie auch im Rest der Wirtschaft nur bei sechs bis zwölf Prozent gelegen hat. Die gestiegenen Kosten sind damit Folge gezielter Maßnahmen, die zur Verbesserung der Pflege beitragen sollen. Sie müssen allerdings durch eine effektive Begrenzung der Eigenanteile vom Gesetzgeber aufgefangen werden, soll die Legitimität der Pflegeversicherung, die 1994 eingeführt wurde, um pflegebedingte Verarmung zu verhindern, nicht Schaden nehmen.

 

Menschen sind länger pflegebedürftig – Pflegekosten werden weiter steigen

Im Mittelpunkt des diesjährigen Schwerpunktkapitels steht vor allem die steigende Pflegedauer und die damit verbundenen Kosten, die für das Pflegeversorgungssystem zu erwarten sind. Der Vergleich der Daten von im Jahr 2022 verstorbenen Pflegebedürftigen mit Vorausberechnungen der Pflegedauern für Menschen, die im Jahr 2022 neu pflegebedürftig geworden sind, zeigt, dass ein deutlicher Anstieg der Pflegedauern zu erwarten ist. Von den 2022 verstorbenen BARMER-Versicherten haben 77 Prozent in ihrem Leben, in aller Regel am Lebensende, Leistungen der Pflegeversicherung bezogen. Diese Leistungen wurden durchschnittlich über 3,8 Jahre bezogen. Bei den 2022 erstmals Pflegebedürftigen sind die Pflegeverläufe meist noch nicht abgeschlossen. Mithilfe der Sterbetafelmethode können die Pflegedauern aber aus den Querschnittsdaten vorausberechnet werden – mit der gleichen Methode mit der das Statistische Bundesamt die Lebenserwartung Neugeborener berechnet. Demnach ist für diese 2022 erstmals Pflegebedürftigen mit einer Pflegedauer von 7,5 Jahren zu rechnen, also einem fast doppelt so hohen Wert.

Die gestiegene Pflegedauer ist auch eine Folge des erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriffs, da Menschen durch diesen schon früher und damit auch länger pflegerische Leistungen erhalten. Insgesamt kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die Pflegedauern um 100% und die Ausgaben um 50% steigen. Die Ausgaben steigen weniger stark, da die zusätzlichen Zeiten in Pflegebedürftigkeit vor allem in niedrigen Pflegegraden und mit dem Bezug von Pflegegeld verbracht werden, was deutlich geringere Ausgaben mit sich bringt als Pflegesachleistungen durch ambulante Pflegedienste oder die Heimpflege.

 

Langfristige Finanzierungssicherheit für die Pflegeversicherung notwendig

Neben der steigenden Zahl an Pflegebedürftigen durch demographische Entwicklungen in den nächsten Jahren und den steigenden Kosten durch mehr Personal und höhere Löhne in der Pflege, müssen also auch längere Pflegedauern für die Kostenentwicklung der Pflege berücksichtigt werden. Durch letztere steigen die Gesamtausgaben der Sozialen Pflegeversicherung pro Pflegebedürftigen in neuen Kohorten zusätzlich. Die Pflegeversicherung braucht also langfristig deutlich mehr finanzielle Mittel: „Die jüngst angeschobene Beitragserhöhung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kann höchstens kurzfristig Abhilfe schaffen und bestenfalls das kommende Jahr überbrücken. Für eine langfristige Finanzierungssicherheit braucht es eine Finanzierung aus Steuermitteln und einen Finanzausgleich mit der Privaten Pflegeversicherung“, kommentiert Prof. Rothgang anlässlich der Veröffentlichung des Pflegereports.

 

 

Link:

BARMER Pflegereport 2024

 

 

 


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de

Dr. rer. pol. Rolf Müller
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58554
E-Mail: rmint@uni-bremen.de

Auftaktveranstaltung des Gesundheitspolitischen Kolloquiums im Wintersemester 2024/25

Am 30. Oktober fand das erste gesundheitspolitische Kolloquium des Wintersemesters 2024 statt, das sich dem "Gesundes-Herz-Gesetz" widmete. Die gesetzten Schwerpunkte im Bereich der Prävention standen dabei im Fokus dieser Veranstaltung.

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Veranstaltungsreihe kommt im Wintersemester mit fünf spannenden Veranstaltungen zurück

Der Semesterstart steht vor der Tür und auch das Gesundheitspolitische Kolloquium der Universität Bremen und des Integrierten Gesundheitscampus Bremen ist zurück mit fünf spannenden Veranstaltungen zu gesundheitspolitischen Themen im Haus der Wissenschaft!

Programm:

30.10.2024:
Das „Gesundes-Herz-Gesetz“ (GHG) – Worauf setzen wir in der Prävention?
Matti von Harten, AOK Bremen/Bremerhaven, Verantwortlicher Bereich Gesundheit

27.11.2024:
Das MVP Bremen – Einbindung von nichtversicherten Personen in die gesundheitliche Versorgung
Holger Dieckmann, MVP e.V., Berater und Projektkoordinator

11.12.2024:
Das neue Organspenderegister - Kann so die Spendenbereitschaft erhöht werden?
Sonja Schäfer, Gesundheit Nord gGmbH Klinikverbund Bremen, Aufklärung Organspende Bremen/Bremerhaven, Vorsitzende des Klinischen Ethikkomitees

08.01.2025:
Young Carer – Was brauchen pflegende Kinder und Jugendliche?

Birgitt Pfeiffer, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Landesverband Bremen e.V., Vorständin

22.01.2025:
Europe’s Beating Cancer Plan – Was ändert sich für die Versorgung?
Sten Beneke, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Leitung Büro Brüssel

Die Veranstaltungen werden von Prof.in Eva Quante-Brandt, Prof. Heinz Rothgang und Prof. Dr. Matthias Zündel moderiert.
Eine Anmeldung ist nicht notwendig. Wir freuen uns über Ihre Teilnahme am Kolloquium mit spannenden Einblicken und Diskussionsbeiträgen.

Mehr Informationen zum GPK finden Sie hier: https://www.socium.uni-bremen.de/veranstaltungen/gesundheitspolitisches-kolloquium/

Sie möchten keine Veranstaltung verpassen? Dann melden Sie sich noch heute zum Newsletter an unter: gpk.socium@uni-bremen.de

 

Foto: Integrierter Gesundheitscampus Bremen

 

 

 


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de

Prof. Dr. Eva Quante-Brandt
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58531
E-Mail: eva.quantebrandt@uni-bremen.de

Maren Emde
Unicom Gebäude
Mary-Somerville-Straße 1
28395 Bremen
Tel.: +49 421 218 58519
E-Mail: maemde@uni-bremen.de

Dr. Johanna Fischer erforscht “Pflegezeit“ in Deutschland und im europäischen Vergleich

Wer Angehörige pflegt, kann in Deutschland Pflegezeit beantragen. Dr. Johanna Fischer (Abteilung Gesundheit, Pflege und Alterssicherung) untersucht in ihrem neuen Postdoc-Projekt die entsprechenden Politiken in EU-Staaten und insbesondere in Deutschland und Österreich.

Die Langzeitpflege steht – nicht nur in Deutschland – vor einer Vielzahl von Problemen. Die Zahl an Pflegebedürftigen wird in den nächsten Jahren weiter steigen, während es an Pflegepersonal mangelt und Plätze in Pflegeeinrichtungen zunehmend knapper werden. Die häusliche Pflege spielt daher aktuell und auch zukünftig eine wichtige Rolle in der Versorgung pflegebedürftiger Menschen. Informell Pflegende, insbesondere weibliche Familienmitglieder, leisten einen großen Teil dieser Arbeit. Dies hat Auswirkungen auf ihre eigene Erwerbstätigkeit, da sich die Pflegeverantwortung häufig nicht gut mit dem Beruf vereinbaren lässt.

Um diesem Problem zu begegnen, haben viele Sozialstaaten eine „Pflegezeit“ etabliert, die – ähnlich wie die Elternzeit – eine zeitlich begrenzte Freistellung von der Erwerbsarbeit ermöglicht, um Sorgearbeit nachzukommen. Die Ausgestaltung einer solchen Regelung unterscheidet sich von Land zu Land aber hinsichtlich verschiedener Faktoren, beispielsweise der Zielgruppe, Dauer und Bezahlung. In ihrem von der Zentralen Forschungsförderung der Universität Bremen geförderten Projekt „Work-care conciliation policies for informal elder care: Comparing the generosity of long-term care leave schemes in Europe“ betrachtet Dr. Johanna Fischer ab März 2025 für drei Jahre die unterschiedlichen Politiken im europäischen Vergleich.

In ihrem Projekt erhebt sie in einem ersten Schritt die Ausgestaltung einer solchen Pflegezeit in allen 27 EU-Staaten bevor sie die Unterschiede zwischen den Ländern anschließend erklärt. Danach betrachtet sie die Einführung der Pflegezeitpolitiken in Deutschland und Österreich in einer qualitativen vergleichenden Analyse. Dabei stehen die politischen Faktoren und Debatten, die die Einführung der Gesetzgebungen begleitet haben, im Vordergrund.

Dr. Johanna Fischer ist Politikwissenschaftlerin und promovierte 2021 an der Universität Bremen zur Entstehung von Sozialpolitiken für Langzeitpflege im globalen Vergleich. Seit 2022 ist sie Mitarbeiterin im Projekt „Globale Entwicklungsdynamiken in der Langzeitpflegepolitik“ des Sonderforschungsbereichs „Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik“. Mit der Förderlinie „Eigene Projekte für Postdocs“ unterstützt die Zentrale Forschungsförderung der Universität Bremen Postdocs in der Entwicklung ihrer Forschungsprofile und wissenschaftlichen Karriere.

Text: Maren Emde / Universität Bremen

Foto: Universität Bremen / Patrick Pollmeier


Kontakt:
Dr. Johanna Fischer
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-57074
E-Mail: johanna.fischer@uni-bremen.de

Gesundheits- und Pflegeökonom für weitere Amtsperiode berufen

Prof. Heinz Rothgang, Leiter der Abteilung Gesundheit, Pflege und Alterssicherung, ist für eine weitere Amtsperiode in den Wissenschaftlichen Beirat des „Wissenschaftlichen Instituts der AOK“ (WIdO) berufen worden.

Das WIdO führt Forschungsarbeiten für die AOK durch, die die Qualität des Gesundheitssystems verbessern und es zugleich effizienter machen sollen. Der Wissenschaftliche Beirat berät und unterstützt bei diesen Aufgaben, indem seine Mitglieder ihre wissenschaftliche Expertise und Erfahrungen einbringen.

Heinz Rothgang ist seit 2009 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des WIdO. Wissenschaftliche Beratungen wie diese zählen zu einer der wichtigen Transferaktivitäten der Abteilung.


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de

Prof. Heinz Rothgang im Digital Public Health Podcast

In der neuen Folge des "Digital Public Health Podcasts" spricht Prof. Heinz Rothgang über die Digitalisierung in der Pflege. Im dem Gespräch geht es unter anderem um den Status Quo in Deutschland, die verschiedenen, bereits existierenden Innovationen, die Einbindung von Pflegekräften in die Entwicklung und Implementation von neuen Technologien und ethische Fragen und Herausforderungen, die sich aus dem Einsatz digitaler Technologien in der Pflege ergeben.

Der "Digital Public Health Podcast" ist eine Produktion des Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS und den Health Sciences Bremen. Er führt durch die Welt der digitalen Transformation im Gesundheitswesen – ein Bereich, der gleichermaßen von Innovationen und Herausforderungen geprägt ist. In Gesprächen mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und der Start-up-Welt werden die Chancen digitaler Gesundheitslösungen beleuchtet und die damit verbundenen Risiken, von Datenschutzproblemen bis zu Ungleichheiten im Zugang, kritisch diskutiert.

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