Eine soziologische Perspektive auf „alternative Fakten“

Begriffe wie „postfaktisch“ und „alternative Fakten“ haben Konjunktur. Sie verweisen darauf, dass ein gesellschaftlicher Kampf um die Wirklichkeit der Wirklichkeit entbrannt zu sein scheint. Die Debatte über alternative Fakten wird deshalb vor allem von psychologischen und erkenntnistheoretischen Fragestellungen dominiert. Um zu verstehen, warum „alternative Fakten“ in der gesellschaftlichen Debatte so verunsichernd wirken, reichen diese Perspektiven jedoch nicht aus. In seinem neuen Buch untersucht Nils Kumkar das Phänomen „alternative Fakten“ darum aus einer soziologischen, kommunikationstheoretischen Perspektive: Worüber streitet und verständigt man sich eigentlich, wenn alternative Fakten die Diskussionen prägen? Was ist, mit anderen Worten, ihre kommunikative Funktion?

Ausgehend von Fallstudien zu den Auseinandersetzungen um Corona, den Klimawandel und die Größe des Publikums bei der Amtseinführung Donald Trumps arbeitet das Buch heraus, dass „alternative Fakten“ nicht primär als Versatzstücke von Parallelwelten zu verstehen sind, in die sich relevante Teile der Bevölkerung zurückgezogen hätten. Vielmehr funktionieren sie als diskursive Nebelkerzen im Kontext polarisierter Debatten. Ihre zentrale Funktion ist nicht, die Menschen Falsches glauben zu lassen, sondern den Schritt von der kommunikativen Tatsachenfeststellung zur politischen Entscheidung hinauszuzögern. Sie wirken nicht als Beitrag zur Konstruktion einer alternativen Realität, sondern als kommunikative Realitätsdestruktion, die es erlaubt, wider besseres Wissen weiterzumachen wie bisher.


Kontakt:
Dr. Nils C. Kumkar
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 9
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58620
E-Mail: kumkar@uni-bremen.de