Vier Jahre Cannabis-basierte Arzneimittel
Seit 10. März 2017 können Cannabis-basierte Arzneimittel von jeder Ärztin bzw. jedem Arzt auf Betäubungsmittelrezept verordnet werden. Es liegt ein breites Spektrum von Produkten vor. Neben den Fertigarzneimitteln mit den Wirkstoffen Nabilon oder Nabiximols kommen überwiegend Rezepturen mit Dronabinol sowie Cannabis-Blüten und -Extrakte in pharmazeutischer Qualität zum Einsatz.
Wachsender Markt – „Green Rush“
Verfügten zu Jahresbeginn 2017 rund 1.100 Patient*innen über eine Sondergenehmigung zur Nutzung von Cannabis-Blüten als Arzneimittel – teils auch im Eigenanbau –, erhalten im Jahre 2021 nach Schätzungen des Handelsblattes rund 80.000 Personen Cannabis-basierte Arzneimittel. Die Ausgaben der GKV nahmen seit 2017 um mehr als 500 Prozent zu – ohne Zulassung für die meisten Cannabisprodukte wie Blüten und Extrakte, ohne Prüfung des Zusatznutzens gegenüber bewährten Arzneimitteln und damit ohne klare Evidenz für die Anwendung. Trotzdem kommt es zu durchschnittlichen Verordnungskosten pro Patient:in von rund 2.000 Euro pro Jahr, u.a. mit Cannabis-Blüten oder –Extrakten, bei denen auch die Assoziation zu archaischen mittelalterlichen Therapien in Zeiten gut standardisierter und auf ihr Wirksamkeit geprüfter Arzneimittel aufkommt
Klassische Versorgungsforschung zum arzneilichen Cannabis-Gebrauch
Im nunmehr zweiten Cannabis-Report wurden unter Beachtung des Datenschutzes Arzneimittelabrechnungsdaten von fast 1.000 Patient*innen der BKK Mobil Oil mit entsprechenden Verordnungen von der Arbeitsgruppe von Herrn Professor Glaeske analysiert.
Off- Label-Use überwiegt
Rund 80% der Patient*innen wenden Cannabis-basierte Arzneimittel außerhalb der in klinischen Studien geprüften Indikationen (sog. Off-Label-Use) ohne entsprechende arzneimittelrechtliche Zulassung an und damit ohne Haftung des Herstellers und ohne Gebrauchs- und Fachinformationen für Patient:innen und Ärzt:innen. Nur 20% erhalten Fertigarzneimittel.
Zwei Welten im Versorgungsalltag
Die Analysen zeigten, dass die hauptsächliche Anwendung von cannabishaltigen Arzneimitteln in zwei Bereichen zu finden sind:
- In der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) wird bei Krebspatient*innen fast ausschließlich Dronabinol als Tropfen vorwiegend von Fachärzt*innen verordnet.
- Im nicht-palliativen Bereich verschreiben zumeist Hausärzt*innen Cannabis in Blütenform, zum Beispiel aufgrund eines chronischen Schmerzsyndroms (27%), anhaltendem Rückenschmerz (7%), Spastik (6%) oder etwa wegen Polyneuropathie (5%).
Noch arzneiliche Nutzung?
Auffällig ist, dass auf nur etwa 8% der Patient*innen über 50% der Leistungsausgaben für Cannabis-basierte Arzneimittel entfallen. Einige Patient*innen erhielten Cannabisblüten in einer Dosis von 3 bis 20 Gramm pro Tag, also wesentlich mehr als im staatlichen Programm der Niederlande, in dem 0,62 bis 0,82 Gramm pro Tag ärztlich verordnet werden. Eine derartig hohe Dosierung lässt vermuten, dass es sich auch um eine missbräuchliche Nutzung der Blüten handelt oder auch, dass die verschriebenen Mengen weiterverkauft werden.
Fazit
Evidenz, Therapiesicherheit und Patientennutzen sollten bei der Entscheidung über die Anwendung von Cannabisprodukten im Vordergrund stehen. Daher ist wie bei allen neuen Arzneimitteltherapien eine AMNOG-Prüfung beim gemeinsamen Bundesausschuss schnellstens nachzuholen.
Die Studie zeigt, dass weitere Forschung zu Cannabis-basierten Arzneimitteln mit dem Ziel von arzneimittelrechtlicher Zulassungen dringend benötigt wird und überfällig ist – Cannabis ist eben per se keine neue Wunderdroge gegen alle möglichen Symptome und Krankheiten.
Download: Cannabis-Report 2020
Download: Präsentation von Herrn Professor Glaeske Pressekonferenz Cannabis-Report 2020
Kontakt:
Prof. Dr. Gerd Glaeske (verstorben)
Apotheker Lutz Muth