Prof. Dr. Heinz Rothgang stellt BARMER-Pflegereport 2024 am 18.11.2024 in Berlin vorDer jährlich veröffentlichte BARMER-Pflegebericht bewertet die aktuelle Pflegepolitik und erfasst die Situation der Pflege. Für den Bericht werteten Prof. Dr. Heinz Rothgang und Dr. Rolf Müller (beide SOCIUM) Daten aus der Pflege- und Kassenstatistik sowie der BARMER umfassend aus. Darüber hinaus setzen die Autoren einen thematischen Schwerpunkt, welcher in diesem Jahr vor allem die Pflegedauer und ihre Auswirkungen auf die Pflegekosten in den Blick nimmt.
Höhere Kosten durch mehr Personal und höhere Löhne in der Altenpflege
Auch im vergangenen Jahr stiegen die Eigenanteile in der Heimpflege weiter an und belaufen sich inzwischen – bei Berücksichtigung aller Leistungen der Pflegeversicherung – auf bundesdurchschnittlich mehr als 2.300 Euro. Dies ist nicht zuletzt auch das Ergebnis von Personalaufstockungen durch das von der Universität Bremen entwickelten Personalbemessungsverfahren und der im Herbst 2022 eingeführten Tariftreueregelung. Letztere gibt vor, dass Pflegeeinrichtungen ohne Tarifvertrag einen solchen einführen, sich an einen solchen anlehnen oder ein regional übliches Entlohnungsniveau für Pflegekräfte sicherstellen. Dies hat zu einem deutlichen Anstieg der Löhne in der Altenpflege geführt: Zwischen Dezember 2021 und Dezember 2023 ist das Lohnniveau für Fachkräfte und Helfer:innen um 17 bzw. 24 Prozent gestiegen, während der Anstieg in der Krankenpflege wie auch im Rest der Wirtschaft nur bei sechs bis zwölf Prozent gelegen hat. Die gestiegenen Kosten sind damit Folge gezielter Maßnahmen, die zur Verbesserung der Pflege beitragen sollen. Sie müssen allerdings durch eine effektive Begrenzung der Eigenanteile vom Gesetzgeber aufgefangen werden, soll die Legitimität der Pflegeversicherung, die 1994 eingeführt wurde, um pflegebedingte Verarmung zu verhindern, nicht Schaden nehmen.
Menschen sind länger pflegebedürftig – Pflegekosten werden weiter steigen
Im Mittelpunkt des diesjährigen Schwerpunktkapitels steht vor allem die steigende Pflegedauer und die damit verbundenen Kosten, die für das Pflegeversorgungssystem zu erwarten sind. Der Vergleich der Daten von im Jahr 2022 verstorbenen Pflegebedürftigen mit Vorausberechnungen der Pflegedauern für Menschen, die im Jahr 2022 neu pflegebedürftig geworden sind, zeigt, dass ein deutlicher Anstieg der Pflegedauern zu erwarten ist. Von den 2022 verstorbenen BARMER-Versicherten haben 77 Prozent in ihrem Leben, in aller Regel am Lebensende, Leistungen der Pflegeversicherung bezogen. Diese Leistungen wurden durchschnittlich über 3,8 Jahre bezogen. Bei den 2022 erstmals Pflegebedürftigen sind die Pflegeverläufe meist noch nicht abgeschlossen. Mithilfe der Sterbetafelmethode können die Pflegedauern aber aus den Querschnittsdaten vorausberechnet werden – mit der gleichen Methode mit der das Statistische Bundesamt die Lebenserwartung Neugeborener berechnet. Demnach ist für diese 2022 erstmals Pflegebedürftigen mit einer Pflegedauer von 7,5 Jahren zu rechnen, also einem fast doppelt so hohen Wert.
Die gestiegene Pflegedauer ist auch eine Folge des erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriffs, da Menschen durch diesen schon früher und damit auch länger pflegerische Leistungen erhalten. Insgesamt kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die Pflegedauern um 100% und die Ausgaben um 50% steigen. Die Ausgaben steigen weniger stark, da die zusätzlichen Zeiten in Pflegebedürftigkeit vor allem in niedrigen Pflegegraden und mit dem Bezug von Pflegegeld verbracht werden, was deutlich geringere Ausgaben mit sich bringt als Pflegesachleistungen durch ambulante Pflegedienste oder die Heimpflege.
Langfristige Finanzierungssicherheit für die Pflegeversicherung notwendig
Neben der steigenden Zahl an Pflegebedürftigen durch demographische Entwicklungen in den nächsten Jahren und den steigenden Kosten durch mehr Personal und höhere Löhne in der Pflege, müssen also auch längere Pflegedauern für die Kostenentwicklung der Pflege berücksichtigt werden. Durch letztere steigen die Gesamtausgaben der Sozialen Pflegeversicherung pro Pflegebedürftigen in neuen Kohorten zusätzlich. Die Pflegeversicherung braucht also langfristig deutlich mehr finanzielle Mittel: „Die jüngst angeschobene Beitragserhöhung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kann höchstens kurzfristig Abhilfe schaffen und bestenfalls das kommende Jahr überbrücken. Für eine langfristige Finanzierungssicherheit braucht es eine Finanzierung aus Steuermitteln und einen Finanzausgleich mit der Privaten Pflegeversicherung“, kommentiert Prof. Rothgang anlässlich der Veröffentlichung des Pflegereports.
Link:
BARMER Pflegereport 2024
Kontakt:Prof. Dr. Heinz RothgangSOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
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rothgang@uni-bremen.deDr. rer. pol. Rolf MüllerSOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
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