Archiv

Mitteilungen des SOCIUM seit 2015, aber auch ältere Mitteilungen aus dem ZeS und EMPAS aus den Jahren 2014 bis 2008.

News filtern
SuchErgebnis:
BARMER-Pflegereport 2023 am 05.12.2023 in Berlin vorgestellt

Der jährlich veröffentlichte BARMER-Pflegebericht bewertet die aktuelle Pflegepolitik und erfasst die Situation der Pflege. Für den Bericht werteten Prof. Heinz Rothgang und Dr. Rolf Müller (beide SOCIUM) Daten aus der Pflege- und Kassenstatistik sowie der BARMER umfassend aus. Darüber hinaus setzen die Autoren einen thematischen Schwerpunkt, welcher in diesem Jahr auf der Situation Pflegebedürftiger im Krankenhaus liegt.

Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag werden nicht umgesetzt

Die zentralen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung und zur Finanzierung der Pflege wurden bisher nicht umgesetzt. Dies betrifft unter anderem die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige, die Herausnahme der Ausbildungskosten aus den Eigenanteilen in der Heimpflege und die Umfinanzierung der medizinischen Behandlungspflege in Heimen. Angesichts der derzeitigen Finanzsituation und deren Bewertung durch die Bundesregierung ist es unwahrscheinlich, dass diese Vorhaben in der aktuellen Legislaturperiode noch verwirklicht werden.

Eine Tariftreueregelung soll den Pflegeberuf attraktiver machen. Nach dieser müssen Pflegeeinrichtungen ohne Tarifvertrag einen solchen einführen, oder ein regional übliches Entlohnungsniveau für Pflegekräfte sicherstellen. Der überwiegende Teil der bislang nicht gebundenen Einrichtungen hat sich für die zweite Option entschieden. Es wurden daher nicht deutlich mehr Tarifverträge eingeführt, die Entgelte stiegen in vielen Einrichtungen aber um bis zu 30 Prozent, was sich wiederum in den Preisen für Pflegeleistungen niederschlägt. Das zentrale Gesetzesvorhaben dieser Legislaturperiode im Bereich der Langzeitpflege ist das Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz. Die darin vorgenommenen Anpassungen sind allerdings unzureichend: in der häuslichen Pflege erfährt das Pflegegeld inflationsbedingt weiterhin einen Realwertverlust, während Eigenanteile in der stationären Pflege steigen. Das Ziel, diese Eigenanteile zu begrenzen wird damit verfehlt.  

Pflegebedürftige machen rund ein Viertel der Patient:innen in Krankenhäusern aus

Mit zunehmendem Alter werden nicht nur eine Pflegebedürftigkeit, sondern auch ein Krankenhausaufenthalt wahrscheinlicher und oft wird erst durch eine Krankenhausaufnahme eine Pflegebedürftigkeit festgestellt. Die Zahl der Personen, die Monat einer Krankenhausaufnahme pflegebedürftig geworden sind, lag in den Jahren 2017 bis 2022 jährlich relativ konstant zwischen 260.000 und 276.000. Die Zahl der Krankenhausfälle von bereits Pflegebedürftigen ist in diesem Zeitraum hingegen deutlich gestiegen – von 2,71 Millionen auf 3,45 Millionen. Insgesamt machen Pflegebedürftige rund ein Viertel der Patient:innen in Krankenhäusern aus.

Jährlich über eine Million potenziell vermeidbare Krankenhausfälle durch Pflegebedürftige

Über eine Million Krankenhausaufenthalte von Pflegebedürftigen können als potentiell vermeidbar angesehen werden. Dazu gehören insbesondere Krankenhausaufnahmen wegen Diabetes mellitus, Typ 2, Volumenmangel, Herzinsuffizienz, sonstige chronische obstruktive Lungenkrankheit und sonstige Krankheiten des Harnsystems. Neben der pflegerischen und medizinischen Versorgung könnten hier auch die Mitwirkung der Pflegebedürftigen sowie das individuelle Gesundheitsverhalten eine Rolle spielen.

Plötzlich Pflegebedürftig – was kommt nach dem Krankenhaus?

Wenn ein Pflegebedarf im Krankenhaus festgestellt wird, ist dieser häufig mit relativ plötzlich auftretenden, schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebs oder Schlaganfall verbunden und die Pflegegrade sind dann meist höher als in anderen Situationen, in denen eine Pflegebedürftigkeit festgestellt wird. An den Krankenhausaufenthalt schließt in diesen Fällen die Frage nach der weiteren Versorgung an, auf die das häusliche Umfeld oft nicht vorbereitet ist. Mehr als die Hälfte (53,5 Prozent) der Personen, bei denen im Zuge ihres Krankenhausaufenthaltes eine Pflegebedürftigkeit festgestellt wird, wird nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ausschließlich informell gepflegt – d.h. ohne Leistungen von ambulanten Pflegediensten, Versorgung in Pflegeeinrichtungen. 39,8 Prozent beziehen Pflegesachleistung und 6,4 Prozent ziehen in Pflegeheime. Zudem nutzt jede siebte Person (14,2 Prozent) Kurzzeitpflege. Von diesen wird einen Monat später die Hälfte noch vollstationär versorgt. Die Kurzzeitpflege nimmt hier eine Überbrückungsfunktion ein, bis die adäquate Versorgung organisiert ist.

Veränderungen auch für schon Pflegebedürftige

Für Menschen, die bereits pflegebedürftig sind, ist nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines Krankenhausaufenthaltes überhaut, sondern auch die eines potenziell vermeidbaren höher als für Menschen ohne Pflegebedarf. Vielfach erhöht sich nach dem Krankenhausaufenthalt der Pflegegrad. Dadurch können Angehörige auch hier vor der Frage nach einem veränderten Versorgungsbedarf stehen. Schon im Monat der Krankenhausentlassung nehmen 5,6 Prozent der bislang informell versorgten Pflegebedürftigen einen Pflegedienst in Anspruch und 2,7 Prozent ziehen in ein Pflegeheim. Von den Pflegebedürftigen, die bislang durch Pflegedienste versorgt werden, ziehen sogar 8,1 Prozent schon im Entlassungsmonat in ein Pflegeheim um. Von den bisherigen Nutzern der Pflegedienste nutzen 15,7 Prozent direkt nach der Entlassung auch die Kurzzeitpflege, welche auch bei diesen Pflegebedürftigen sehr häufig als Überbrückung in die vollstationäre Dauerpflege genutzt wird.

Krankenhausaufenthalte sind für Pflegebedürftige deutlich länger

Notwendige Suchprozesse können die Entlassungen aus dem Krankenhaus verzögern, dabei liegt es im Interesse der Krankenhäuser, Krankenkassen und Pflegebedürftigen den Krankenhausaufenthalt so kurz wie möglich zu halten. Ein Entlassungsmanagement der Krankenhäuser soll zwar bei dem Übergang helfen, scheitert aber häufig schlichtweg an zu wenigen Plätzen in den Pflegeeinrichtungen und beginnt teilweise zu spät und zu unkoordiniert. Patient:innen mit einem neu festgestellten Pflegebedarf sind im Durchschnitt dreieinhalb Tage und durch ambulante Pflegedienste versorgte Pflegebedürftige sind im Durchschnitt bis zu zweieinhalb Tage länger im Krankenhaus als nicht pflegebedürftige Personen. Dies kann sowohl an einem schwereren Krankheitsverlauf als auch an einer notwenigen Überbrückungszeit liegen. Da eine anschließende Nutzung der Kurzzeitpflege die Krankenhausdauer durchschnittlich um weitere sechs Tage verlängert, deutet vieles auf einen längeren Suchprozess für die adäquate pflegerische Versorgung hin.

 

Download:

BARMER Pflegereport 2023

Statement von Prof. Rothgang anlässlich der Pressekonferenz

Folienvortrag von Prof. Rothgang anlässlich der Pressekonferenz


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de

Dr. rer. pol. Rolf Müller
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58554
E-Mail: rmint@uni-bremen.de

Erster Landespflegebericht in Bremen vorgestellt

Wie steht es um die Pflege im Land Bremen? Können 2030 noch alle Menschen versorgt werden, die auf Unterstützung in ihrem Alltag angewiesen sind? Diese Fragen beantworten Prof. Dr. Heinz Rothgang, Thomas Kalwitzki und Benedikt Preuß (alle SOCIUM, Universität Bremen) im ersten offiziellen „Landespflegebericht Bremen 2023,“ den sie gemeinsam mit Dr. Johanna Krawietz (Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e. V) im Auftrag der Senatorin für Arbeit, Soziales, Jugend und Integration vorgestellt haben.

Jeder sechste Mensch in Deutschland wird derzeit im Laufe seines Lebens pflegebedürftig und ist damit in seinem Alltag auf Unterstützung angewiesen. Neben der Pflege durch Angehörige stellen beispielsweise ambulante Pflegedienste und Pflegeheime die Versorgung pflegebedürftiger Menschen sicher. Um diese Versorgung zu garantieren, sieht die Gesetzgebung eine langfristige Planung von ambulanten und (teil)stationären Einrichtungen vor. Der vorgelegte Landespflegebericht bildet die Grundlage für diese Planung, indem er nicht nur die Bevölkerungsentwicklung und die gegenwärtige Pflegeversorgung in Bremen aufzeigt, sondern diese auch den aktuellen und zukünftigen Bedarfen gegenüberstellt. Dazu analysierten die Wissenschaftler Daten aus den Jahren 2015-2022, auf deren Grundlage sie auch Entwicklungen bis 2030 berechnen können.  

Für die allgemeine Bevölkerungsentwicklung stellen die Forscher ähnliche Tendenzen in Bremen und Bremerhaven fest. So wird es zwar in beiden Städten bis 2030 zu einem deutlichen Rückgang in der Altersgruppe der 30-66-Jährigen und einem großen Anstieg der Gruppe der 67-79-Jährigen kommen, der Anteil der über 80-Jährigen sinkt hingegen. Innerhalb der älteren Bevölkerung kommt es insgesamt also zu einer Verjüngung. In Hinblick auf die pflegerische Versorgung ist insbesondere die Altersgruppe 80+ relevant, da hier die Wahrscheinlichkeit pflegebedürftig zu werden am größten ist.

Ältere Stadtteile werden jünger, jüngere Stadtteile werden älter

Ein besonderer Fokus des Berichtes liegt auf dem Vergleich der Bremer und Bremerhavener Stadteile hinsichtlich ihrer Bevölkerungsentwicklung und der Entwicklung der Pflegebedürftigkeit. Hier zeigen sich große Unterschiede. In der Stadt Bremen sind die Stadtteile Oberneuland und Horn-Lehe sowie in Bremerhaven die Stadtteile Surheide und Mitte verhältnismäßig alt, die Bremer Stadtteile Östliche Vorstadt und Walle und die Stadtteile Lehe und Geestemünde in Bremerhaven sind vergleichsweise jung. Diese Unterschiede werden sich aber in den nächsten Jahren angleichen, da die „alten“ Stadtteile jünger, und die „jungen“ Stadtteile älter werden. Doch hier gibt es Ausnahmen: der Bremer Stadtteil Obervieland ist beispielsweise bereits jetzt deutlich älter als der Durchschnitt und wird bis 2030 noch weiter altern.

Die Zahl der Pflegebedürftigen stieg zwischen 2015 und 2021 im Land Bremen, wie im gesamten Bundesgebiet, stark an. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung liegt die Zahl der Pflegebedürftigen in Bremen damit nah am Bundesdurchschnitt. Aber auch hier sind deutliche Unterschiede zwischen den Bremer Stadteilen zu erkennen: während in Burglesum oder Obervieland in 2021 mehr als 70 Pflegebedürftige je 1.000 Einwohner:innen lebten, waren es in der Östlichen Vorstadt ca. 33. Auf der Grundlage von Daten über Empfänger:innen von Pflegegeld und/oder Pflegesachleistungen durch ambulante Pflegedienste können die Wissenschaftler abschätzen wie sich die Zahl der pflegebedürftigen Menschen zukünftig im Land Bremen entwickelt. Dabei überrascht: zwischen 2021 und 2030 wird die Zahl der Pflegebedürftigen nur minimal um ca. 1.000 Personen steigen. Die unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklungen in den Stadtteilen wirken sich auch auf die benötigte Versorgung aus: während in Stadtteilen wie Huchting und Burglesum, die jünger werden, die Anzahl an Menschen, die auf Pflegegeld oder Pflegesachleistungen angewiesen sind, zurück geht, steigt ihre Anzahl in anderen, „alternden“ Stadtteilen wie Walle und der Östlichen Vorstadt um mehr als 20 % an.  

Versorgungslage verschlechtert sich

In ihrem Bericht stellen die Bremer Wissenschaftler auch die Entwicklung der Versorgungssituation in Bremen dar und vergleichen die Versorgung mit anderen Bundesländern. Dabei stellen sie fest: im Land Bremen zwischen 2015 und 2021 sind die Versorgungsgrade (Plätze je Pflegebedürftige) der meisten Leistungsangebote deutlich zurückgegangen. Die Versorgung im ambulanten Bereich (inkl. Tagespflege) ist im Bundesvergleich zwar überdurchschnittlich, im stationären Bereich liegt der Versorgungsgrad hingegen unter dem Bundesdurchschnitt. Besondere Versorgungslücken bestehen im Bereich der Kurzzeitpflege. In Bremen und Bremerhaven unterscheidet sich die Versorgung zwischen den Stadtteilen deutlich. Pflegeheime sowie ambulante Pflegedienste liegen in den beiden Städten meist in zentralen, jüngeren Stadtteilen und damit nicht dort wo der Bedarf besonders hoch ist. Beim großen Thema Personalmangel in Pflegeheimen liegt Bremen hingegen insgesamt im Durchschnitt, wobei es im Vergleich zu anderen Bundesländern einen höheren Bedarf an Pflegefachkräften gibt, dafür aber einen geringeren Bedarf an Assistenzkräften.

Für die Zukunft empfehlen die Wissenschaftler eine zweijährige Berichterstattung, um demographische Veränderungen festzuhalten und eine angemessene Pflegeplanung zu garantieren. Zudem sollten Versorgungslücken in weniger zentralen Stadtteilen gefüllt werden, indem das stationäre beziehungsweise ambulante Angebot ausgeweitet wird. Um dem Personalmangel in der Pflege zu begegnen, heben Prof. Rothgang und seine Kollegen die Notwendigkeit hervor, den Beruf attraktiver zu machen, indem die Arbeitsbedingungen und Bezahlung besser werden. Auch ein neues Konzept zu Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung, das aktuell in der Arbeitsgruppe des Bremer Professors entwickelt wird, soll zukünftig dabei helfen, den Einsatz von Pflegepersonal zu verbessern.

Im zweiten Teil des Landespflegeberichts, der durch die Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e. V. (LVG & AfS) erarbeitet wurde, wird die Entwicklung und die aktuelle Situation in Hinblick auf pflegeunterstützende Maßnahmen und offene Altenhilfe wie ehrenamtliche Angebote im Bereich Betreuung und Beratung dargestellt.

Der vollständige Bericht kann auf der Website der Pressestelle des Senats heruntergeladen werden.

Text: Maren Emde und Benedikt Preuß


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de

Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg (FGZ Bremen), Clara Dilger (FGZ Leipzig)Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg (FGZ Bremen), Clara Dilger (FGZ Leipzig)
Erster Zusammenhaltsbericht des FGZ untersucht die Zusammensetzung sozialer Bekanntenkreise in Deutschland

Der erste Zusammenhaltsbericht des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) zeigt: Große Teile der Bevölkerung in Deutschland verfügen über homogene Bekanntenkreise – und dies beeinflusst auch ihre Weltsichten und Erfahrungen. Die stärkste Tendenz zur Netzwerksegregation findet sich demnach unter AfD- sowie Grünen-Wähler:innen, außerdem unter hochgebildeten, muslimischen sowie ländlichen Bevölkerungsgruppen. Der Bericht ist das Ergebnis einer repräsentativen Längsschnittstudie mit mehr als 12.000 Befragten. Im Zentrum des Berichts steht der Zusammenhang zwischen homogenen Bekanntenkreisen und Idealen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, Einstellungen zur Demokratie, Erfahrungen des Zusammenhalts im Lebensumfeld und Emotionen gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen.
 

Zwischen vielen Menschen in Deutschland existieren kaum mehr Berührungspunkte, sie bleiben unter sich und bewegen sich in alltagsweltlichen „Blasen“ – so lautet eine populäre Zeitdiagnose. Der heute vorgestellte erste Zusammenhaltsbericht des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt untersucht, was an dieser weitverbreiteten Annahme dran ist und welche Rolle die Zusammensetzung der Bekanntenkreise für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland spielt.

Mit der ersten Erhebungswelle der langfristig angelegten FGZ-Zusammenhaltsstudie (Social Cohesion Panel) liegt nun erstmals ein sehr großer, repräsentativer Datensatz für Deutschland vor, der es möglich macht, ein breites Spektrum an Einstellungen, Erfahrungen, Emotionen und Praktiken von Menschen aus allen sozialen Gruppen, Milieus und Regionen im Kontext ihrer Lebensweisen und soziostrukturellen Hintergründe differenziert zu analysieren. Auf dieser Basis können auch erstmals empirisch gesicherte Rückschlüsse zu Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Bezug auf die Bedeutung der Zusammensetzung von Bekanntenkreisen der Befragten vorgelegt werden. Diese Befunde liefern wichtige Einblicke in die Verbreitung und Wirkungsweise der in den Medien viel zitierten alltagsweltlichen „Blasen“.

Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg, Sprecher des FGZ und einer der Hauptautoren der Studie erklärt: „Unser Bericht zeigt, dass es die sprichwörtlichen „Filterblasen“ auch in der „analogen Welt“ gibt: Menschen, deren soziale Bekanntenkreise eher homogen zusammengesetzt sind, denken, fühlen und handeln auch anders als Personen, die sich in eher gemischten Netzwerken bewegen. Letzteres kann helfen, Verständnisbarrieren und Feindseligkeiten zwischen sozialen Gruppen abzubauen.“

Weitere zentrale Befunde des Zusammenhaltsberichts sind im Folgenden kurz zusammengefasst.

 

Homogene soziale Netzwerke: vor allem bei Grünen- und AfD-Anhänger:innen

Eine besonders starke Tendenz, „unter sich“ zu bleiben, finden wir vor allem bei Grünen- und AfD-Sympathisant:innen: 50 Prozent der potentiellen AfD-Wähler:innen berichten, dass sich ihre Bekanntenkreise überwiegend aus AfD-Sympathisant:innen zusammensetzen; unter potentiellen Grünen-Wähler:innen haben sogar 62 Prozent politisch homogene Netzwerke. Ebenfalls stark ausgeprägt ist diese Tendenz zur Netzwerksegregation bei Personen muslimischen Glaubens, geringer Bildung und ländlicher Wohnumgebung; weiterhin bei Ostdeutschen, Reichen und Hochgebildeten.  

Einstellungen zur Demokratie: Vertrauen muss man sich leisten können 

Es gibt deutliche Unterschiede in Einstellungen zur Demokratie nach Bildungsstand und Einkommen: Menschen mit sozio-ökonomisch privilegierten Netzwerken weisen tendenziell hohes politisches Vertrauen, eine relativ große Demokratiezufriedenheit und im geringen Maße populistische Einstellungen auf. Dagegen zeigen Menschen mit eher gering gebildeten oder ökonomisch schlechtgestellten Bekanntenkreisen ein geringeres Vertrauen in die politischen Institutionen, eine geringe Zufriedenheit mit der Demokratie und in erhöhtem Ausmaß populistische Einstellungen.

Negative Emotionen gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen

Eine „affektive Polarisierung“ – die übersteigerte emotionale Identifikation mit der Eigengruppe bei gleichzeitiger Abwertung der Fremdgruppe – findet sich in Deutschland vor allem zwischen konkurrierenden politischen Lagern (links vs. rechts und Grüne vs. AfD). Während Menschen mit der Absicht die Grünen zu wählen andere Menschen, die mit den Grünen sympathisieren, sehr positiv gegenüberstehen, lehnen sie Menschen, die mit der AfD sympathisieren, sehr stark ab. Potentielle Wähler:innen der AfD bewerten dagegen andere AfD-Anhänger:innen als sehr sympathisch und verspüren eine ausgeprägte Abneigung gegenüber Anhänger:innen der Grünen. Für die meisten sozialen Gruppen mit homogenen Netzwerken ist auch die Tendenz zur affektiven Polarisierung größer. Hier bestätigt sich die Annahme, dass Kontakte und Berührungspunkte zwischen sozialen Gruppen Feindseligkeiten zwischen diesen Gruppen abmildern können.

Fazit: Netzwerksegregation begünstigt Polarisierung

Insgesamt zeigt der Zusammenhaltsbericht, dass die sozialen Bekanntschaftsnetzwerke der Deutschen keineswegs vollständig entkoppelt, aber gleichwohl in beträchtlichem Maße homogen und segregiert sind. Für die verschiedenen sozialen Merkmale, die in der Studie betrachtet wurden, zeigen sich dabei unterschiedliche Ausprägungen und Auswirkungen der Segregation. Eine lebensweltliche „Entkopplung“ sozialer Gruppen mit entgegengesetzten Einstellungen und Werten sowie feindseligen Gefühlen zeigt sich vor allem zwischen den politischen Lagern von Grünen- und AfD-Anhänger:innen.

 

Der ausführliche Zusammenhaltsbericht sowie eine Kurzfassung sind kostenfrei zugänglich über die Website des FGZ: https://fgz-risc.de/zusammenhaltsbericht  

 

Pressekontakt

Sarah Lempp
Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt
E-Mail: presse@fgz-risc.de
Telefon: +49 341 9737762

 

Über das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) ist ein dezentrales und interdisziplinäres Forschungsinstitut, das 2020 gegründet wurde und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Es erforscht in über 80 Forschungs- und Transferprojekten Begriff und Konzeptionen, Quellen und Gefährdungen, Folgen und Wirkungen sowie historische, globale und regionale Kontexte und Konstellationen gesellschaftlichen Zusammenhalts aus einer Vielzahl disziplinärer Perspektiven und methodischer Zugänge.
Das FGZ setzt sich aus elf Standorten in ganz Deutschland zusammen und nimmt dadurch auch die regionale Vielfalt gesellschaftlichen Zusammenhalts in Deutschland in den Blick. Zum Verbund gehören die Technische Universität Berlin, die Universitäten Bielefeld, Bremen, Frankfurt, Halle-Wittenberg, Hannover, Konstanz und Leipzig sowie das Soziologische Forschungsinstitut Göttingen, das Leibniz-Institut für Medienforschung Hamburg und das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena.

Über das Forschungsdatenzentrum des FGZ (FDZ-FGZ)

Am Forschungsdatenzentrum des FGZ (FDZ-FGZ) wird in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) die zentrale repräsentative Studie des FGZ, das German Social Cohesion Panel (SCP), durchgeführt. Im SCP werden seit 2021 bis zu 17.000 Personen in jährlichen Abständen zu verschiedenen Themen befragt, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt betreffen. Neben dem SCP umfasst die Dateninfrastruktur des FGZ auch eine regionale Studie (Regionalpanel), eine qualitative Studie (Qualipanel), sowie ein Datenobservatorium der sozialen Medien (Social Media Obervatory, SMO).

 

Social Media: X (ehemals Twitter), Instagram, YouTube: @fgz_risc | BlueSky: @fgz-risc | Mastodon: @fgz_risc@wisskomm.social

#Zusammenhaltsbericht
#SocialCohesionPanel

Vortrtag über Nachhaltigkeit in Krankenhäusern eröffnet das Gesundheitspolitische Kolloquium im Wintersemester 2023/2024

Der Energieverbrauch eines durchschnittlichen Krankenhauses ist vergleichbar mit dem einer Kleinstadt – da wundert es nicht, dass das Gesundheitswesen ca. 5,2 Prozent der Gesamtemissionen in Deutschland verursacht. Zahlen wie diese sind für Sabine Schröder mehr als Grund genug etwas zu ändern. Darüber berichtete sie im Gesundheitspolitischen Kolloquium am 25. Oktober und eröffnete damit die Vortragsreihe im Wintersemester 2023/2024.

Sabine Schröder ist seit über 20 Jahren Qualitäts- und Leitbildbeauftragte des Bremer Krankenhauses St. Joseph-Stift. Vor ein paar Jahren beschloss sie mit weiteren Kolleg:innen an einer nachhaltigeren und klimaneutraleren Gestaltung des Krankenhauses zu arbeiten. Ihre Position hilft ihr bei ihrem Vorhaben: „Beim Qualitätsmanagement ist diese Aufgabe genau richtig angesiedelt, denn wir sind gut vernetzt und reden sowieso mit allen!“

Die Möglichkeiten für Krankenhäusern nachhaltiger zu werden sind zahlreich. So berichtet Schröder, dass das St. Joseph-Stift auf Ökostrom umgestiegen ist, das Kantinenangebot auf weniger Fleisch und damit auf weniger CO2 umgestellt hat und wenn es Einwegbecher einsetzt, sind diese nun kompostierbar. Darüber hinaus gibt es aber auch Stellschrauben, die für Krankenhäuser spezifisch sind und an denen gedreht werden kann: im OP werden CO2-emmisionsärmere Gase verwendet, die OP-Lüftung wird heruntergefahren, wenn sie nicht gebraucht wird und bei Fertigspritzen wird auf eine längere Haltbarkeit geachtet.

Insgesamt können Schröder und ihre Kolleg:innen schon viele Erfolge verzeichnen –am Ziel ist sie aber noch nicht: „Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann, dass die Verpackung gesetzlich reguliert wird. Medizinprodukte verursachen einen enormen Verpackungsmüll – weit über das hinaus, was für die Sterilität nötig ist.“ Dies antwortete sie auf die Frage, was sie sich von der Politik für ihre Arbeit wünsche, die ihr in der Diskussionsrunde mit den Besucher:innen  gestellt wurde. Prof. Dr. Heinz Rothgang moderierte die Diskussion im Anschluss an den Vortrag, in der sich auch Bremer Krankenhäuser untereinander vernetzten um gemeinsam an einem nachhaltigeren Gesundheitswesen zu arbeiten.

Die Veranstaltungen des Gesundheitspolitischen Kolloquiums werden von Prof. Dr. Heinz Rothgang und Prof.in Dr. Eva Quante-Brandt moderiert und finden im Haus der Wissenschaft, Sandstraße 4/5, 28195 Bremen statt. Eine vorherige Anmeldung ist nicht notwendig und der Eintritt ist kostenlos.

Im Wintersemester 2023/24 diskutieren wir mit ausgewählten Referent:innen über aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze für die Gesundheitsversorgung in Deutschland.

Weitere Themen und Termine in diesem Semester:

Mittwoch, 29.11.2023, 18-20h

Arzneimittellieferengpässe: Hintergründe und Fakten

Dr. rer. nat. Isabel Justus

Geschäftsführerin Apothekerkammer Bremen, Fachapothekerin für öffentliches Gesundheitswesen

Mittwoch, 06.12.2023, 18-20h

Gesundheit und Gesundheitsversorgung von LSBT*Q - gesundheitliche Chancengleichheit

Thomas Altgeld

Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e.V.

Mittwoch, 10.01.2024, 18-20h

Quartiersbezogene Gesundheitsversorgung in Bremen am Beispiel LIGA-Gröpelingen

Christina Kisner

Koordinatorin Gesundheitstreffpunkte e.V.

Mittwoch, 24.01.2024, 18-20h

Aktuelles von der Krankenhausreform

Prof. Dr. Boris Augurzky

Leiter „Gesundheit“ am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), Vorstandsvorsitzender der Rhön Stiftung

Mittwoch, 31.01.2024, 18-20h

(Digitale) Medien, soviel wie sie „gut“ tun? Ein Diskussionsmodell zwischen Lust, Last und Lost

Markus Gerstmann

Medienpädagoge im ServiceBureau Jugendinformation / LidiceHaus Bremen

 

Bei Fragen wenden Sie sich gerne an gpk.socium@uni-bremen.de.

Aktuelle Informationen zu den Veranstaltungen finden Sie auch auf unserer Website.

 

Das Oberthema der Veranstaltungsreihe im Wintersemester 2023/24 lautet "Aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze für die Gesundheitsversorgung in Deutschland"

https://www.socium.uni-bremen.de/veranstaltungen/gesundheitspolitisches-kolloquium/aktuelles-semester/

Foto: SenatspressestelleFoto: Senatspressestelle
Senatorin Anja Stahmann begrüßt die Projektteilnehmenden im Bremer Rathaus

Zum Auftakt des auf neun Jahre angelegten Projekts TCALL (Transfercluster Akademischer Lehrpflegeeinrichtungen in der Langezeitpflege) hat die Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport am Montag den 03.04.2023 im Rathaus Projektpartner:innen aus Wissenschaft und Praxis sowie weitere Akteure aus dem Bereich Pflege und Politik im Rathaus willkommen geheißen. Das Projekt initiiert durch die Entwicklung akademischer Lehrpflegeeinrichtungen in drei Modelleinrichtungen in Bremen den Aufbau neuer Innovations- und Transferstrukturen in der Langzeitpflege. Perspektivisch zielt das Projekt auf die Dissemination dieser Strukturen, in denen sowohl technische und digitale als auch strukturelle und prozesssteuernde Innovationen getestet, evaluiert und implementiert werden können, ins Land Bremen und ins gesamte Bundesgebiet ab.

Das Projekt wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit insgesamt 16 Mio. Euro gefördert und von Prof. Heinz Rothgang (Abteilung Gesundheit, Pflege und Alterssicherung des SOCIUM - Universität Bremen) koordiniert. Im Projekt wird die Expertise unterschiedlicher Akteure im Pflegesektor des Landes Bremens vereint. Neben dem SOCIUM sind als wissenschaftliche Projektpartner:innen Prof. Karin Wolf-Ostermann und Prof. Ingrid Darmann-Finck aus dem Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP) sowie Prof. Karsten Wolf aus dem Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI) von der Universität Bremen und Prof. Claudia Stolle, Zentrum für Pflegeforschung und Beratung von der Hochschule Bremen beteiligt. Weitere Projektpartner sind Prof. Matthias Zündel vom Integrierten Gesundheitscampus Bremen (IGB), das Bremer Zentrum für Pflegebildung sowie als Praxispartner das Johanniterhaus Bremen und zwei Einrichtungen des Caritasverbands Bremen.

Die Auftaktveranstaltung hat alle beteiligten Projektpartner sowie weitere Akteure des Pflegesektors und der Politik und insbesondere die Mitarbeitenden aus den beteiligten Pflegeeinrichtungen zusammengebracht. Bei der Auftaktveranstaltung wurden die Redebeiträge von Anja Stahmann (Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport), Tim Cordßen-Ryglewski (Staatsrat bei der Senatorin für Wissenschaft und Häfen), Prof. Maren Petersen (Konrektorin für Lehre und Studium an der Universität Bremen), Dr. Sabina Schoefer (Konrektorin für Digitalisierung an der Hochschule) und Prof. Heinz Rothgang (Hochschullehrer an der Universität Bremen und Projektkoordinator) mit interaktiven Elemente sowie einem informellen Zusammenkommen abgerundet.

Unter folgenden Links finden Sie weitere Beiträge zu dieser Veranstaltung:

https://gesundheitscampusbremen.de/presse/auftaktveranstaltung-projekt-tcall/
https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/forschung-bremen-pflege-100.html
https://www.sat1regional.de/pflege-der-zukunft-erste-akademische-lehrpflegeeinrichtung-in-bremen-eroeffnet/
https://www.weser-kurier.de/deutschland-welt/bremen-forschungsprojekt-soll-altenpflege-verbessern-doc7pm6vvta65s6s9tf34n


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de

Projekt von Prof. Haunss veröffentlicht Daten-Plattform

Wer demonstriert wann, wo und zu welchem Thema? Während Wahlergebnisse und Bevölkerungsumfragen für die breite Öffentlichkeit zugänglich sind, gilt dies bisher nur sehr begrenzt für Daten zu Protestdynamiken in Deutschland. Wissenschaftlich abgesicherte Informationen darüber, wer, wann, zu welchen Themen und mit welchen Mitteln protestiert, sind jedoch von zentraler Bedeutung für Journalist:innen, die Zivilgesellschaft und die interessierte Öffentlichkeit, um aktuelle Protestereignisse einordnen und deuten zu können. Prof Dr. Sebastian Haunss vom SOCIUM, zusammen mit anderen Wissenschaftler:innen vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) haben vor diesem Hintergrund eine einfach handhabbare und frei zugängliche Online-Plattform entwickelt, auf der systematisch erhobene Daten zum Protestgeschehen im Deutschland aufbereitet und für eine breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Plattform protestdata.eu beinhaltet Informationen zu Protestkampagnen und Protestaktionen von 1950 bis 2002 im gesamten Bundesgebiet sowie in 18 deutschen Städten zwischen 2009 und 2020.

 

protestdata.eu ist ein Gemeinschaftsprojekt des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) und des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). An beiden Institutionen forschen Teams zur zeitlichen und thematischen Entwicklung von lokalem Protest. Die Idee zur Visualisierung der Daten für eine breitere Öffentlichkeit ergab sich durch die laufende Kooperation in einer Arbeitsgruppe des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung, an dem alle Beteiligten assoziiert sind.

 

Bei Fragen zur Online-Plattform wenden Sie sich gerne an:fgz.protest@uni-bremen.de.

Kontakt:
Prof. Dr. Sebastian Haunss
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 7
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58572
E-Mail: sebastian.haunss@uni-bremen.de

Arbeitsgruppe von Professor Rothgang im SOCIUM ist Projektpartner im Leuchtturmprojekt „Pflege 2030“

Mit der Auftaktveranstaltung wurde am 19. Dezember 2022 ein Modellprojekt für die Pflege der Zukunft gestartet, in dem das SOCIUM und das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen mit der Korian Stiftung für Pflege und würdevolles Altern sowie der Korian Deutschland GmbH zusammenarbeiten.

Das Modellprojekt verfügt über ein Budget von rund 7 Mio. Euro, die zur Hälfte vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege zur Verfügung gestellt werden. Korian Deutschland übernimmt nicht nur die Kosten für den notwendigen Heimumbau im Umfang von 2,5 Mio. Euro, sondern auch die Kosten für einen Ausbau der Pflegepersonalausstattung von rund 1 Mio. Euro für drei Jahre. Damit wird es möglich, die Ergebnissen des Projekts zur Entwicklung des neuen Personalbemessungsverfahrens, das von 2017 bis 2020 an der Universität Bremen durchgeführt wurde, umzusetzen und zu erproben.

Klaus Holetschek, Bayerischer Staatsminister für Gesundheit und Pflege, startete das Projekt vor Ort feierlich: „Die Verbesserung der Pflege ist eines der zentralen Zukunftsthemen. Dazu gehören sowohl eine würdevolle Betreuung für pflegebedürftige Menschen als auch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Pflegeberuf. Wir müssen jetzt die Weichen für eine umfassende und menschenfreundliche Pflege von morgen stellen. Für uns als Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege ist das Projekt ‚Pflege 2030‘ somit zukunftsweisend. Ich erhoffe mir nachhaltige Erkenntnisse für eine langfristige Verbesserung der stationären Pflege in Bayern und darüber hinaus.“

Elisabeth Scharfenberg, Vorständin der Korian Stiftung, ergänzte: „Wir als Korian Stiftung freuen uns sehr über den Start von ‚Pflege 2030‘ in der Korian-Einrichtung in Karlsfeld. In den nächsten drei Jahren kann, gestützt durch wissenschaftliche Begleitung, ein modernisiertes Pflegekonzept umgesetzt werden, das nachhaltig den Berufsalltag der Pflegenden entlastet, diese in ihren Routinen unterstützt und damit auch den Pflegebedürftigen zugutekommt.“

Während der dreijährigen Projektlaufzeit wird in der Pflegeeinrichtung in Karlsfeld eine quantitativ und qualitativ bedarfsorientierte und digitalisierte Pflege implementiert und im Echtbetrieb erprobt. Ausgehend von einem entsprechenden Personalmix mit deutlich mehr Pflegeassistenzkräften wird die Modernisierung der Einrichtung durch digitale Pflegetechnik (wie beispielsweise Sensoren, Künstliche Intelligenz, Service Roboter oder datengestützte Prozesssteuerung) und eine innovative Personaleinsatzplanung erprobt und evaluiert. „So können bedarfsgerechte und kompetenzorientierte digital unterstützte Abläufe im Pflegealltag entstehen, die gleichermaßen die Lebensqualität der Pflegeheimbewohner:innen und die Arbeitszufriedenheit der Pflegefachkräfte verbessern“, betont Professor Heinz Rothgang von der Universität Bremen.

„Die Entwicklung, Implementierung und Integration neuer Prozesse und ‚Smarter‘ Technologien zur Entlastung der Pflegekräfte stellen gleichermaßen hohe Herausforderungen an die Entwickler:innen und an die Nutzenden“, unterstreicht Privatdozent Dr. Thomas Wittenberg vom Fraunhofer IIS. Zur Identifikation und Evaluierung geeigneter Technologien (wie zum Beispiel intelligenter Betten, Datenbrillen, Spracherkennung oder robotischer Systeme zur Arbeitserleichterung in der Pflege) werden Forscher:innen des Fraunhofer IIS in Erlangen ihre Expertise in das Projekt mit einbringen. Sie werden zusammen mit den Pflegekräften neue Verfahren zur Erkennung, Analyse und Interpretation von „Stress-Points“ in Pflegeprozessen mittels tragbarer Sensoren – sogenannter „Wearables“ – erarbeiten und die Lösungsansätze in der Praxis umsetzen.

Angesichts des großen Reformbedarfs in der stationären Langzeitpflege soll die Einrichtung in Karlsfeld als Best-Practice-Modell für kompetenzorientierte Pflege in einer digitalisierten Einrichtung dienen und wertvolle, übertragbare Erkenntnisse für Bayern, aber auch ganz Deutschland liefern. Ziel ist es, das gesamte Projekt in Bezug auf die Pflegequalität umfassend zu evaluieren und modulare Handreichungen zu erstellen, die andere Einrichtungen als Blaupause für eine entsprechende Umsetzung verwenden können.


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de

Autorenteam des SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen erstellt Pflegereport 2022 im Auftrag der BARMER

Am 29.11.2022 wurde in Berlin der diesjährige BARMER Pflegereport vorgestellt. Neben einer Bewertung der Pflegepolitik des letzten Jahres und einem allgemeinen Berichtsteil analysiert der diesjährige Pflegereport in seinem Schwerpunktkapitel die Auswirkungen von COVID-19 auf den Heimsektor. Dabei werden sowohl die Effekte auf die Heimbewohnerinnen und -bewohner als auch auf die Pflegeheime selbst und – vermittelt über die finanziellen Effekte – die Pflegeversicherung untersucht.

Ankündigungen des Koalitionsvertrags wurden bislang noch nicht umgesetzt

Vor gut einem Jahr wurde der Koalitionsvertrag abgeschlossen, der eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Situation in der Langzeitpflege vorsieht. Tatsächlich ist noch keine dieser Maßnahmen umgesetzt worden. Da es sich bei diesen im Koalitionsvertrag genannten Vorhaben um dringende Weiterentwicklungsbedarfe handelt, kann nur gehofft werden, dass deren Umsetzung im nächsten Jahr schnellsten begonnen wird. Ansonsten wird die Zeit bis zum Ende der Legislaturperiode für die notwendige große Pflegereform nicht mehr ausreichen.

Hauptleidtragende der Pandemie sind die Pflegebedürftigen in Pflegeheimen

Pflegeheimbewohnende sind direkt und indirekt von der Pandemie betroffen.

Um eine Ausbreitung der Infektion zu begrenzen, haben Pflegeheime in der ersten Welle drastische Kontaktsperren für Besucher, Ehrenamtliche, aber teilweise auch Ärzte, Therapeuten, Fußpflege durchgesetzt, die nicht nur zu einer eingeschränkten medizinischen Versorgung geführt, sondern nicht zuletzt durch Einsamkeitserleben insbesondere negative Effekte auf die psychische Gesundheit der Heimbewohnenden gehabt haben.

Trotz der Kontaktsperren war der Anteil der an COVID-19 Erkrankten in der ersten und zweiten Welle bei Heimbewohnerinnen und -bewohnern nach Hochrechnungen mit den BARMER-Daten 7-8-mal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. Da es sich bei den Heimbewohnenden zudem um vulnerable Gruppen handelt, hat dies dazu geführt, dass mehr als die Hälfte der in der ersten und zweiten Welle mit COVID-19 Verstorbenen Heimbewohnende waren. Bezogen auf die Jahre 2020 und 2021 liegt der kumulierte Anteil der Heimbewohnenden an den mit COVID-19 Gestorbenen bei 45 %, der Anteil aller Pflegebedürftigen bei 75 %. Die Todesfälle mit COVID-19 haben zu einer entsprechenden Übersterblichkeit geführt. Im Vergleich zu den Jahre 2017 bis 2019 zeigt sich unter den Heimbewohnenden eine Übersterblichkeit von mehr als 150.000 Personen.

Auch am Ende des Betrachtungszeitraums ist die Betroffenheit der Heimbewohnenden immer noch sehr hoch. Vorbereitungen auf neue Varianten des Virus und auf weitere Wellen sind daher angezeigt. Um die negativen indirekten Effekte zu verhindern, sollte dabei aber soweit wie möglich auf Maßnahmen zur Kontaktreduktion verzichtet werden.

Auch Pflegekräfte im Pflegeheim sind in besonderem Maße betroffen

Die Kontaktsperren im Pflegeheim, die notwendigen Hygienemaßnahmen, einschließlich der Verpflichtung für das Personal, Masken zu tragen, sowie der pandemiebedingte Personalausfall haben die Arbeit der Pflegekräfte sehr erschwert. Emotionsarbeit, die sonst von Angehörigen geleistet wurde, musste unter erschwerten Bedingungen übernommen werden. Da Schutzausrüstungen zunächst nicht ausreichend zur Verfügung standen und das Personal im Pflegeheim aufgrund der körpernahen Arbeit nur eingeschränkt Abstand halten kann, war auch das Pflegepersonal im Pflegeheim besonders von der Pandemie betroffen.

Entsprechend lagen die Arbeitsunfähigkeitsquoten für Pflegekräfte im Pflegeheim in den beiden ersten Wellen etwa fünfmal so hoch wie bei den sonstigen Beschäftigten in sonstigen Wirtschaftszweigen. In der dritten und vierten Welle haben sich die AU-Quoten dann allerdings wieder angeglichen.

Um für weitere Covid-19-Wellen und weitere Pandemien gewappnet zu sein, ist es entscheidend die Zahl der Beschäftigten – im Sinne des neuen Personalbemessungsverfahrens – zügig zu erhöhen. Nur so kann sichergestellt werden, dass eine Abwärtsspirale aus Überforderung der Mitarbeitenden und erhöhten Arbeitsunfähigkeitszeiten entsteht.

Nach starken Einbrüchen in den ersten beiden Wellen normalisiert sich die Inanspruchnahme formeller Pflegeleistungen wieder

Pflegebedürftige und deren Angehörigen haben in den beiden ersten Wellen aus Angst vor einer Infektion zum Teil auf die Nutzung formellen Pflegeleistungen verzichtet. Zudem mussten Einrichtungen ihr Angebot insbesondere aufgrund von Personalmangel zum Teil zurückfahren. Starke Einbrüche von rund 50 % gab es in der ersten Welle bei der Inanspruchnahme von Kurzzeitpflege. In der vollstationären Dauerpflege zeigten sich Effekte vor allem in einem verringerten Wechsel von häuslicher in stationäre Pflege, der in der ersten Welle um rund 40 % zurückgegangen ist. Da Heimbewohnende in der Regel keine Möglichkeit zur Rückkehr in eigene Häuslichkeit haben, war der Effekt für den Bestand der Heimbewohnenden entsprechend geringer.

Die Möglichkeit der Impfung dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, dass sich die Zahl der Neueinzüge in vollstationäre Pflegeeinrichtungen und die Nutzung teilstationärer Pflege im Sommer 2021 wieder das Niveau vor der Pandemie erreicht hat. Allerdings deutet die rückläufige Nutzung zum Dezember 2021 darauf hin, dass neue Wellen wieder zu verringerter Inanspruchnahme führen können.

Die Sozialversicherung wird erneut zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben missbraucht

Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, die pandemiebedingten Zusatzkosten der Pflegeversicherung aus Steuermitteln zu finanzieren. Tatsächlich stehen den bis zum Ende des 1. Quartals 2022 aufgelaufenen Zusatzkosten von 9,2 Milliarden Euro für den Rettungsschirm für Pflegeeinrichtungen, die von der Testverordnung vorgegebenen PoC-Antigen-Tests und die Corona-Pflegeprämie bis zum Jahresende 2022 lediglich steuerfinanzierte Bundeszuschüsse in Höhe von 4,0 Milliarden Euro gegenüber. Ein Betrag von 5,2 Milliarden Euro verbleibt damit bei der Pflegeversicherung. Dabei sind die coronabedingten Mehrausgaben des 2. bis 4. Quartals 2022 noch gar nicht berücksichtigt. Die Ankündigung des Koalitionsvertrags wird somit bislang nicht eingehalten. Vielmehr werden erneut gesamtgesellschaftliche Aufgaben beitragsfinanziert.

Aufgrund weiterer Finanzrisiken ist eine Finanzreform bereits Anfang des Jahres unvermeidlich. Es ist zu wünschen, dass im Rahmen dieser Reform auf die Verpflichtung zur Rückzahlung der genannten Kredite verzichtet wird und die coronabedingten Kosten vollständig steuerfinanziert werden – wie im Koalitionsvertrag angekündigt.

Download:

BARMER Pflegereport 2022

Statement von Prof. Rothgang anlässlich der Pressekonferenz

Folienvortrag von Prof. Rothgang anlässlich der Pressekonferenz


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de

Dr. rer. pol. Rolf Müller
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58554
E-Mail: rmint@uni-bremen.de

Heinz Rothgang koordiniert 16 Mio. Euro umfassende Transferinitiative für Bremen

Im Krankenhausbereich gehören sie seit langem zum Standard: akademische Lehrkrankenhäuser, die gemeinsam mit Universitätskliniken wesentlich dazu beitragen, Innovationen und Forschungsergebnisse möglichst schnell in die alltätliche Versorgungspraxis zu bringen. Für die Langzeitpflege gibt es so etwas jedoch nicht – noch nicht. Denn das soll sich mit T!CALL, dem Transfercluster Akademischer Lehrpflegeeinrichtungen in der Langzeitpflege, ändern. T!CALL wird in Bremen Strukturen aufbauen, in denen technische, insbesondere digitale, ebenso wie organisatorische Innovationen und Maßnahmen der Personalentwicklung im Normalbetrieb evaluiert und – bei positiver Evaluation – in den Versorgungsalltag implementiert werden. Dabei sind Aus-, Fort- und Weiterbildung ein entscheidender Transfermechanismus. Das Projekt sorgt also für eine systematische Verschränkung von Forschung, Lehre und Versorgung in einem eigens dafür gestalteten Transferraum. Aus dieser Keimzelle werden positiv erprobte Maßnahmen zur Steigerung der Lebensqualität der Menschen mit Pflegebedarf und zur Aufwertung des ganzen Berufsfeldes Altenpflege in die Fläche gebracht.

T!CALL gehört zu bundesweit zwölf Projekten, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung in seinem Programm „T!Raum – TransferRäume für die Zukunft von Regionen“ finanziert. Es hat sich in einem kompetitiven Wettbewerb mit insgesamt 115 Antragstellern erfolgreich durchgesetzt.

Das auf neun Jahre angelegte und mit insgesamt 16 Mio. Euro geförderte Vorhaben wird koordiniert von Prof. Dr. Heinz Rothgang, Abteilung Gesundheit, Pflege und Alterssicherung des SOCIUM, und in Zusammenarbeit mit dem Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen sowie dem Zentrum für Pflegeforschung und Beratung der Hochschule Bremen auf wissenschaftlicher Seite durchgeführt. Die akademische Lehrpflegeeinrichtungen werden aus dem Johanniterhaus Bremen und Einrichtungen des Caritasverband Bremen entstehen, die als initiale Praxispartner das Rückgrat der Initiative bilden. Als weitere initiale Partner sind die das Bremer Zentrum für Pflegebildung und der Integrierte Gesundheitscampus Bremen beteiligt. Die Einbindung weiterer Partner ist vorgesehen. Breite Unterstützung findet das Vorhaben auch seitens der Bremer Politik, allen voran der Senatorin für Soziales, Jungend, Integration und Sport, die zugesagt hat, über das bisherigen Ordnungsrecht hinausgehende Innovationen unter Rückgriff auf die Öffnungsklausel des Bremischen Wohn- und Betreuungsgesetzes weitgehend zu unterstützen und der Senatorin für Wissenschaft und Häfen.


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de