Tagung des Zentrums für Sozialpolitik und Sciences Po, Paris am 25.-26. September 2014.

Hanna Schwander und Philip Manow veranstalteten zusammen mit Bruno Palier vom Centre d’étude Européenne der Sciences Po in Paris eine zweitägige Tagung mit dem Ziel die Auswirkungen der Veränderungen der sozialpolitischen Systeme auf den politischen Wettbewerb und Wähler-Parteien-Bindungen zu diskutieren. Ausgangspunkt der Tagung waren die tiefgreifenden Veränderungen der wohlfahrtstaatlichen Systeme in postindustriellen Gesellschaften, welche eine traditionelle Mobilisierung der Kernwählerschaft über den Wohlfahrtstaat, wie sie im goldenen Zeitalter des Wohlfahrtstaatsausbaus möglich und üblich war, verunmöglichte. In Anbetracht des Ausmaßes des Sozialstaatsumbaus in den letzten Jahrzehnten, welche durch die andauernde Wirtschaftskrise verstärkt wird, und der Bedeutung des Sozialstaats für die materielle Absicherung des individuellen Bürgers und den politischen Wettbewerb und der Identität der Parteien vermuten wir, dass der Sozialstaatsumbau weitreichende Folgen für diverse Aspekte des politischen Wettbewerbs haben sollte. Dazu kommt, dass die distributiven und daher auch politischen Konsequenzen der Reformen vielschichtig und komplex sind: Reformen reduzieren oftmals den passiven Schutz gegenüber ‚alten’ sozialen Risiken wie Arbeitslosigkeit, während neue Policies entweder zum Schutz vor neuen sozialen Risiken wie instabilen Familienverhältnisse oder atypischer Erwerbsarbeit oder mit einem stärkeren Fokus auf (Wieder)beschäftigung ausgebaut werden.

Dazu kommt, dass sich durch abnehmende Parteienbindungen, der Auflösung traditioneller Wählermilieus und einer stärkeren Fragmentierung des Parteiensystems auch der Parteienwettbewerb im Wandel befindet. Die Forschung zum Parteienwettbewerb betont hier die Zentralität langfristiger struktureller Prozesse wie Globalisierung und Post-Industrialisierung, während der Wandel des Wohlfahrtsstaates als strukturierender Faktor wenig Beachtung findet. Dies ist umso überraschender als dass der Konflikt um den Wohlfahrtstaat (Abbau versus Expansion) als der zentrale Konflikt im Parteienwettbewerb gilt und die ökonomische Dimension des politischen Konfliktes oftmals als dominant angesehen wird und es daher Grund zur Annahme gibt, dass die grundlegenden Veränderungen im Sozialstaat auch den politischen Wettbewerb tangieren. Bürger, die sich als Verlierer der Reformen sehen, können beispielsweise zunehmend extreme Parteien an den Rändern des Parteienspektrums wählen oder sich der Wahl enthalten, was zu einer stärkeren Polarisierung des Parteiensystems aber auch zu einer geringeren Legitimität des Regierungen führen kann, da sich größere Wählerschaften nicht mehr repräsentiert sehen.

Gleichzeitig könnte sich das Verhältnis zwischen der ökonomischen und der zweiten, oftmals kulturellen oder moralischen genannten Dimension verändern, wenn sich aufgrund des wahrgenommen oder faktischen Zwangs zur Reduktion des Wohlfahrstaates der Parteienwettbewerb auf die zweite Dimension verlagert. Abgesehen von einer relativ jungen Literatur zu den elektoralen Auswirkungen von Wohlfahrtstaatsreformen, fehlen jedoch umfassende Analysen zu den Effekten von Sozialstaatsreformen auf das Wahlverhalten von traditioneller und neuer Wählergruppen, Parteienwettbewerb und -polarisierung, die Struktur des politischen Wettbewerb, die Salienz des Wohlfahrtsstaates und der ökonomischen Dimension im politischen Wettbewerb im Allgemeinen sowie die Adaptionsstrategien von Parteien.

Zur Diskussion der beschriebenen Fragen waren folgende Wissenschaftler eingeladen, mit großzügiger Unterstützung des Sfb 597 "Staatlichkeit im Wandel" und der Sciences Po:

  • Alexandre Afonso, King's College, London, GB
  • Ben Ansell, Nuffield College, Oxford University, GB
  • Silja Häusermann, Universität Zürich, Schweiz
  • Carsten Jensen, Universität Aarhus, Dänemark
  • Herbert Kitschelt, Duke University, USA
  • Johannes Lindvall, Universität Lund, Schweden
  • Kimberly Morgan, George Washington University, USA
  • Jonathan T. Polk, Universität Gothenburg, Schweden
  • Philipp Rehm, University of Ohio, USA
  • Jan Rovny, Centre d'études européennes, Sciences Po, Paris, Frankreich
  • Allison Rovny, Centre d'études européennes, Sciences Po, Paris, Frankreich
  • David Rueda, Nuffield College, University of Oxford, GB


Organisation der Tagung:

Philip Manow, Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen, Deutschland
Bruno Palier, Centre d'études européennes, Sciences Po, Paris, Frankreich
Hanna Schwander, Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen, Deutschland


Kontakt:
Prof. Dr. Philip Manow
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 7
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58580
E-Mail: manow@uni-bremen.de