Die Sektion Alter(n) und Gesellschaft der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) veranstaltet am 18. und 19. September 2015 in Bremen ihre Herbsttagung.

Immer mehr Menschen in Deutschland und vielen anderen Ländern arbeiten, obwohl sie das Rentenalter erreicht haben oder bereits Rentenzahlungen erhalten. Diese Arbeit kann verschiedene Formen annehmen: Von der fortgesetzten Vollzeittätigkeit bei Aufschub von Rentenzahlungen über Teilzeittätigkeiten, Mini-Jobs und Schwarzarbeit bis zu aufwandsentschädigten ehrenamtlichen Tätigkeiten. Die Grenzen zwischen bezahlter Erwerbstätigkeit und unbezahlten produktiven Aktivitäten verlaufen dabei manchmal fließend. Den unterschiedlichen Formen der Arbeit entsprechend variieren auch subjektive Bedeutungen und Gründe für Arbeit jenseits der Rentengrenze: Spaß an der Arbeit, soziale Kontakte, eine ausgeprägte berufliche Identität, der Wunsch nach einem gleitenden Übergang in den Ruhestand, aber auch finanzielle Notwendigkeit und der Wunsch nach Hinzuverdienst können Arbeit im Rentenalter motivieren.

Die gesellschaftliche Bedeutung von Arbeit im Rentenalter ist umstritten. Ihre Zunahme wird je nach Position des Betrachters auf sehr unterschiedliche Weise gedeutet und bewertet: Als eine beklagenswertes Fehlen des eigentlich wohlverdienten Ruhestands, als willkommene Flexibilisierung des Lebenslaufs und gelungene ‚Aktivierung‘ in der Lebensphase Alter, als ‚Lösung‘ für Probleme der demographischen Alterung, etwa der Finanzierung der Sozialsysteme und des Fachkräftemangels, oder aber als Ergebnis eines erfolgreichen Kampfes gegen Altersdiskriminierung.

Die tatsächliche strukturelle Bedeutung der späten Arbeit dürfte von der jeweils betrachteten Teilgruppe arbeitender Rentnerinnen und Rentner abhängen. Ebenso sind die gesellschaftlichen Ursachen der Zunahme von Arbeit im Alter vielfältig: Eine durchschnittlich bessere Gesundheit und höhere Bildung heutiger Rentenzugangskohorten, veränderte Ansprüche an die Lebensphase Alter, geringere allgemeine Arbeitslosigkeit und die Nachfrage nach hochqualifizierten Fachkräften, aber ebenso sinkende Rentenzahlungen und ein wachsender Niedriglohnsektor dürften zu diesem Trend beitragen. Neben individuellen Faktoren wie Bildung, Geschlecht und Gesundheit beeinflussen auch auf den Arbeitsplatz bezogene und betriebliche Gegebenheiten die späte Erwerbstätigkeit, und schließlich prägt auch die sozialstaatliche Rahmung die Neigung zu arbeiten – neben der Höhe, Zusammensetzung und Verteilung von Renteneinkommen sind hier etwa die Möglichkeit des Teilrentenbezugs oder Hinzuverdienstgrenzen (aktuell bei vorgezogenen Renten oder Grundsicherung im Alter) zu nennen.

Die Herbsttagung 2015 der Sektion „Alter(n) und Gesellschaft“ greift den Trend zur Arbeit jenseits der Rentengrenze auf und diskutiert seine Erscheinungsformen, Bedingungen und Folgen für die Lebensphase Alter. Mögliche Vortragsthemen umfassen folgende Fragen:

  • Welche Formen von Arbeit jenseits der Rentengrenze existieren? Welche Rolle spielen die Schattenwirtschaft und informelle Tätigkeiten? Wie werden diese unterschiedlichen Tätigkeiten subjektiv erfahren und gesellschaftlich gedeutet?

  • Wer arbeitet noch jenseits der Rentengrenze? Welche Erwerbsverläufe und Rentenübergänge führen eher zu später Erwerbstätigkeit und welche Rolle spielt Geschlecht dabei? Welche Prozesse sozialer Mobilität ergeben sich vor und nach Erreichen der Rentengrenze?

  • Wie beeinflussen organisatorische oder betriebliche, arbeitsmarktstrukturelle sowie sozialpolitische Einflüsse das Vorkommen und die Formen dieser Arbeit? Wie werden individuelle Verlängerungen des Erwerbslebens über die Rentengrenze hinaus auf der betrieblichen Ebene verhandelt?

  • Welche Bedeutung haben Armut, Lebensstandard und Konsumwünsche für die späte Erwerbstätigkeit, welche die Verfügbarkeit von und das Wissen über bedarfsgeprüfte Sozialleistungen (Grundsicherung im Alter)? In welchem Verhältnis stehen der Wunsch nach Arbeit und Rentenalter und seine Realisierung? Wie werden die entsprechenden Entscheidungen getroffen und welche Rolle spielen Haushalt, Partner und private Netzwerke dabei?

  • In welchem Verhältnis steht bezahlte Arbeit zu freiwilligem Engagement und weiteren produktiven Aktivitäten wie Pflege? Ist hier – individuell und gesellschaftlich – eher von einem Konkurrenzverhältnis auszugehen oder von einer Kumulation verschiedener Tätigkeiten?

  • Welche sozialwissenschaftlichen Theorien und Konzepte können zur Erklärung von Arbeit jenseits der Rentengrenze herangezogen werden, wie können sie untersucht werden und wie schneiden sie im vergleichenden empirischen Test ab?

  • Welche Folgen hat Arbeit im Rentenalter für die Lebensphase Alter und die institutionalisierte Rentengrenze, auch in breiter historischer Perspektive? Verlieren Altersgrenzen im Erwerbsleben und für den Rentenempfang an Bedeutung?

  • Welche Implikationen hat die Ausweitung der späten Arbeit für Arbeitsmarktstrukturen und soziale Ungleichheiten? Führt die Zunahme von Arbeit im Rentenalter eher zu mehr oder weniger Ungleichheiten im Alter?

  • In welcher Weise wird Arbeit im Alter gesellschaftlich debattiert und bewertet? Welche Rolle spielen Reformprozesse sowie unterschiedliche (nationale und internationale) Akteure und Wohlfahrtskulturen dabei?

  • Welche praxisbezogenen sozial- und arbeitsmarktpolitischen oder betrieblichen Konzepte beziehen sich auf Arbeit im Rentenalter, einen gleitenden Übergang in die Rentenphase oder verlängerte Erwerbskarrieren im Allgemeinen? Wovon hängt ihre erfolgreiche Umsetzung ab?

Die erbetenen Beiträge können sich sowohl in theoretisch-konzeptioneller als auch in empirischer (quantitativer, qualitativer oder methodenkombinierender) Perspektive auf die oben genannten oder verwandte Fragen beziehen; gesellschaftsvergleichende Zugänge sind besonders willkommen.

Wir bitten um Zusendung entsprechender Exposés im Umfang von bis zu 400 Wörtern bis zum 30. Juni 2015 an abstracts-hb@sektion-altern.de

Download: Call for Papers


Kontakt:
Prof. Dr. Simone Scherger
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 5
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58569
E-Mail: simone.scherger@uni-bremen.de