Cover BARMER GEK Pflegereport 2014Cover BARMER GEK Pflegereport 2014
Der diesjährige Report untersucht die zahnärztliche Versorgung von Pflegebedürftigen.

In seinem Schwerpunkthema liefert der BARMER GEK Pflegereport, der in diesem Jahr zum siebten Mal erscheint, eine breite Darstellung der zahnärztlichen Versorgung Pflegebedürftiger, beschreibt die erkannten Probleme, nennt die jüngsten gesetzlichen Reaktionen auf die Problematik und weist letztlich auf noch verbleibende Verbesserungspotentiale hin.

Daneben untersucht die Arbeitsgruppe des ZeS, bestehend aus Professor Heinz Rothgang, Rolf Müller, Rebecca Mundhenk und Rainer Unger das Leistungsgeschehen in der Pflege und diskutiert zentrale Weiterentwicklungen in der Pflegeversicherung. Wesentliche Datengrundlagen sind die Pflegestatistik als Vollerhebung der rund 2,6 Mio. Pflegebedürftigen und die Routinedaten der BARMER GEK, die rund 10 Prozent der Bevölkerung abbilden. Die Ergebnisse wurden heute in der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt. Im Folgenden eine Kurzdarstellung ausgewählter Ergebnisse des Reports:

Zahnärztliche Versorgung: Pflegebedürftige sind unterversorgt

Während rund dreißig Prozent der nicht pflegebedürftigen Versicherten mindestens einmal im Quartal einen Zahnarztkontakt haben, sind es bei den pflegebedürftigen nur rund zwanzig Prozent. Dieser Unterschied kann zum Teil durch das höhere Alter der Pflegebedürftigen erklärt werden. Doch auch unter Kontrolle von Alter, Geschlecht, einer Vielzahl an Diagnosestellungen und der Region bleiben die Unterschiede bestehen. Pflegebedürftige der niedrigsten Pflegestufe, die ausschließlich von ihren Angehörigen gepflegt werden, weisen dabei noch die geringsten Unterschiede zu Nicht-Pflegebedürftigen auf. Für diese Pflegegeldempfängerinnen und -empfänger in der Pflegestufe I wird eine um 5,5 Prozentpunkte geringere Behandlungsquote festgestellt. Liegt allerdings die Pflegestufe III vor, dann ist die Behandlungsquote bei Pflegebedürftigen in häuslicher Pflege unter Beteiligung von Pflegediensten sogar um 16,5 Prozentpunkte verringert. Entsprechende Ergebnisse zeigen sich auch bei den Untersuchungen von speziellen Teilbereichen der zahnärztlichen Versorgung. Bei einer durchschnittlichen Behandlungsquote Nicht-Pflegebedürftiger von 0,35 Prozent je Quartal im Bereich der Parodontopathien weisen Pflegebedürftige unabhängig von Alter, Geschlecht, Erkrankungen und Region eine im 0,14 Prozentpunkte verminderte Behandlungsquote auf. Im Leistungsspektrum von Zahnersatz und Zahnkronen wird für nicht pflegebedürftige Versicherte eine Behandlungsquote von 3,2 Prozent je Quartal festgestellt. Für Pflegebedürftige mit Pflegestufe III werden ebenfalls unter Kontrolle der oben genannten Merkmale um 2,8 Prozentpunkte verringerte Behandlungsquoten ermittelt. Die Pflegebedürftigen, die durch ambulante Pflegedienste oder im Pflegeheim versorgt werden, haben noch geringere Behandlungsquoten. Da Hinweise auf eine zahnmedizinische Überversorgung Nicht-Pflegebedürftiger nicht erkennbar sind, ist angesichts der genannten Unterschiede insgesamt von einer Unterversorgung der Pflegebedürftigen auszugehen.

Pflegebedürftige sind aufgrund von Immobilität, Wahrnehmungsstörungen, Kommunikationsproblemen, gestörtem Schmerzempfinden und vielem anderen mehr häufig nicht in der Lage, sich angemessen um ihre Zahngesundheit zu kümmern. Daher sind alle anderen Beteiligten aufgefordert, Verantwortung zu übernehmen. Strukturelle Verbesserungen sind möglich, beispielsweise durch barrierefreie Zahnarztpraxen, die Organisation der Transporte oder Behandlungsräume in größeren Pflegeeinrichtungen. Zudem sollten die in Pflegeeinrichtungen tätigen Personen für die zahnmedizinischen Belange von Pflegebedürftigen weiter sensibilisiert und qualifiziert werden. Hierzu gehören sowohl Mundhygieneschulungen für Pflegekräfte als auch die Formulierung von Leitlinien zum zahnärztlichen Umgang mit Pflegebedürftigen. Die Punktwerte für die Abrechnung der zahnmedizinischen Leistungen sollten so veranschlagt sein, dass es keinen finanziellen Anreiz gibt, Pflegebedürftige zu vernachlässigen.

Zwanzig Jahre Pflegeversicherung sind eine Erfolgsgeschichte

Am 26. Mai 1994 wurde das Pflegeversicherungsgesetz beschlossen. In diesem Jahr kann damit auf zwanzig Jahre Pflegeversicherung zurückgeblickt werden. Dieser Rückblick macht deutlich, wie stark sich die Situation durch die Pflegeversicherung verbessert hat: die Pflegeinfrastruktur wurde ausgebaut, die öffentlichen Mittel für diesen Bereich erhöht, die Sozialhilfeausgaben sind ebenso gesunken wie die Zahl und der Anteil der pflegebedingten Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger und auch die Qualität der Pflege erfährt heute eine weit höhere Aufmerksamkeit als vor zwanzig Jahren. Vor allem wurde das Pflegerisiko als allgemeines Lebensrisiko anerkannt, das einer sozialstaatlichen Bearbeitung bedarf. Damit hat sich die deutsche Pflegeversicherung auch international zum Vorbild entwickelt.

Pflegevorsorgefonds ist fehlkonzipiert

Am 7. November 2014 wurde das Erste Pflegestärkungsgesetz verabschiedet. Es enthält sinnvolle Leistungsausweitungen, eine moderate Leistungsdynamisierung und den Pflegevorsorgefonds. Im letzteren sollen in den nächsten zwanzig Jahren Rücklagen gebildet werden, die anschließend gestreckt über einen Zeitraum von wiederum gut zwanzig Jahren der Pflegeversicherung zugutekommen. Dadurch sollen Beitragssatzstabilität und Generationengerechtigkeit geschaffen werden. Dieser Pflegevorsorgefonds ist aber fehlkonzipiert: Erstens räumt selbst die zur Hüterin dieser Rücklage auserkorene deutsche Bundesbank ein, dass es nicht möglich ist, diese Rücklagen vor dem zukünftigen Zugriff des Finanzministers zu schützen. Zweitens wird der Beitragssatz für die Pflegeversicherung in den Jahren 2035 bis 2055, wenn der Fonds wieder der Pflegeversicherung zugutekommt, bei rund vier Prozent liegen. Eine Entlastung  in Höhe von 0,1 Beitragssatzpunkten ist dann relativ unbedeutend. Drittens ist der Fonds gerade dann leer, wenn der Beitragssatz sein Maximum erreicht. Aber nachfolgend geht der Beitragssatz nicht zurück, sondern wird relativ konstant auf hohem Niveau verharren. Eine temporäre Kapitalbildung ist daher nicht geeignet, um einen nachhaltigen Effekt hervorzurufen. Viertens ist eine Kapitalbildung in einem Sondervermögen zur Förderung der Generationengerechtigkeit ineffizient. Wenn die Last zukünftiger Generationen verringert werden soll, ist dazu die Staatsverschuldung abzubauen. Andernfalls kommt es zu einem Nebeneinander von Staatsverschuldung, für die Soll-Zinsen zu zahlen sind und einem Fonds mit niedrigeren Haben-Zinsen.

Zahl der Pflegebedürftigen steigt regional sehr unterschiedlich

Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt seit Einführung der Pflegeversicherung kontinuierlich, und die demografische Entwicklung sorgt auch für die nächsten Jahrzehnte für weitere Steigerungen. Allerdings fallen diese regional unterschiedlich aus. Während sich die Zahl der Pflegebedürftigen von 2010 bis 2050 in Sachsen-Anhalt ‚nur‘ um 57 Prozent erhöht, liegt diese Steigerungsrate in Baden-Württemberg mit 113 Prozent ziemlich genau doppelt so hoch. Die Pflegebedürftigenzahl wird in den 2050er Jahren in elf Bundesländern insgesamt wieder rückläufig sein, während sie in den restlichen fünf weiter steigt. Auch eine sinkende Zahl an Pflegebedürftigen kann aber zu Versorgungsproblemen führen, wenn die Zahl der Erwerbstätigen gleichfalls sinkt und der Pflegenotstand so anhält.

Mehr Pflegeheimkapazitäten – mehr Pflegebedürftige im Heim

Ein Vergleich der Bundesländer zeigt enge Zusammenhänge zwischen Versorgungskapazitäten und -inanspruchnahme auf. In den Bundesländern, in denen es mehr Heimplätze pro Pflegebedürftige gibt, findet sich auch tendenziell ein höherer Anteil Pflegebedürftier, die im Pflegeheim versorgt werden. Ein höheres Angebot schafft sich somit seine Nachfrage. Besonders drastisch zeigt sich dieser Angebotseffekt in Schleswig-Holstein: Je 100 Pflegebedürftige werden dort 48,4 Heimplätze vorgehalten (Bundesdurchschnitt: 33,2). In Pflegeheimen in Schleswig-Holstein werden 40,6 Prozent der Pflegebedürftigen versorgt (Bundesdurchschnitt: 29,7 %). Allerdings wird das höhere Angebot nicht eins zu eins in Anspruch genommen. Ein höheres Angebot geht tendenziell mit einer geringeren Auslastung einher.

Wer zahlt für die Pflegebedürftigkeit?

Die Pflegeversicherung ist keine Vollversicherung. Nur ein Teil der anfallenden Pflegeleistungen und der mit der Pflegebedürftigkeit einhergehenden Aufwendungen werden von der Pflegeversicherung getragen. Die Soziale Pflegeversicherung trägt einen Anteil von 54,7 und die Private Pflegeversicherung 1,9 Prozent der monatlichen Gesamtausgaben. 35,2 Prozent werden privat getragen und weitere 7,7 Prozent durch die Sozialhilfe übernommen.

Regionale Unterschiede in der geriatrischen Rehabilitation und Frührehabilitation deuten auf deren Wirksamkeit hin

Die geriatrische rehabilitative Versorgung in den einzelnen Bundesländern ist unterschiedlich ausgeprägt. In den einen Bundesländern wird ausschließlich auf geriatrische Versorgung im Krankenhaus gesetzt, in anderen ist sie in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen besonders weit verbreitet und in wiederum anderen sind die Angebote in beiden Bereichen unterdurchschnittlich. Die beiden Länder mit den meisten Betten in geriatrischen Einrichtungen der Vorsorge- und Rehabilitation, Bayern und Saarland, haben auch die geringste Pflegeeintrittswahrscheinlichkeit. Von den sechs Bundesländern mit den meisten Betten in diesen Einrichtungen, das sind Saarland, Bayern, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen, haben fünf unterdurchschnittliche Eintrittsraten in die Pflegebedürftigkeit. Dies kann als Hinweis auf die Wirksamkeit geriatrischer Rehabilitation interpretiert werden.

Download: 
BARMER GEK Pflegereport 2014
BARMER GEK Pflegereport 2014 Pressemappe


Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgang@uni-bremen.de

Dr. Rainer Unger
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58553
E-Mail: rainer.unger@uni-bremen.de

Dr. rer. pol. Rolf Müller
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58554
E-Mail: rmint@uni-bremen.de